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#907

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Das Leergut-Dilemma

Hohe Spritpreise, knapper Frachtraum, kein Personal: die Getränkelogistik kämpft an allen Ecken und Fronten, der Mehrweg-Kreislauf klemmt. Der Einzelhandelsboom durch
Corona ist zu Ende, dennoch fehlt Leergut. Hersteller flehen die Verbraucher an, ihre Kisten in die Märkte zurückzubringen. Doch zurück in der Abfüllung wären sie damit noch lange nicht. Wie dem schwächelnden System (in der Theorie) zu helfen wäre, weiß Logistikberater Maximilian Huesch.

Die Mehrweglogistik

Der Leergutmangel ist nicht allein mit der Energiekrise und zerstörten Glaswerken infolge des Ukrainekriegs zu erklären. Vielmehr sind es hausgemachte Probleme, die jährlich wiederkehren. Allen voran hapert es an einer „frühzeitigen und offenen Kommunikation“ zwischen Industrie und GFGH, sagt Maximilian Huesch.

„Die Industrie beschwert sich, weil sie ihr Leergut nicht zurückbekommt und sie nicht weiß, wo es gerade ist. Der GFGH oder Leergutsortierer wiederum hat das Leergut aus mehreren, jährlich wiederkehrenden Gründen erst teilweise sortiert und kann den Rohstoff Leergut erst im kisten- und/oder flaschensortiertem Zustand zurücksenden.“

Höhere Durchmischung, weniger Personal

Die Sortierung wird für den GFGH dabei immer aufwändiger. Die Kisten haben eine höhere Fremdflaschendurchmischung und der Anteil an Individualflaschen steigt weiter. Zusätzlich verschärft ein Mangel an Sortierpersonal die Situation weiterhin. Die Kosten von Werkvertragsdienstleistern, Personaldienstleistern und Eigenpersonal haben sich durch die Anpassung des Mindestlohns, den Ukrainekrieg und die hohe Nachfrage nach Personal in anderen attraktiveren Branchen und Bereichen um bis zu 30% erhöht. „Gleichzeitig hat der GFGH bei derselben Menge an Kisten einen viel höheren Personalbedarf“, berichtet Huesch.

„Vor 20 Jahren hatte die durchschnittliche rückläufige 20 x 0,5l Leergutkiste aus dem LEH 3-5 falsche Flaschen in den Großstädten. Aber durch die Individualisierung ist es jetzt andersherum. Teilweise ist mehr als die Hälfte des Kastens komplett durchmischt mit Falschflaschen oder Fehlflaschen, welche die Brauerei nicht für die Abfüllung nutzen kann.“

Strategische Waffe Leergut

Der GFGH bekommt die Kisten nicht schnell genug sortiert und kann sie nicht auf den Hof der Brauerei bringen oder abholen lassen. Stattdessen gibt es einen regen Austausch über Telefon und E-Mail seitens der Industrie bei allen möglichen GFGH mit der Nachfrage, wer wie viel von welchem Flaschenformat auf dem Hof hat. Das Rennen um das Leergut mache derjenige, der über die besseren Beziehungen verfügt. Oder (wie Warsteiner, Krombacher, Bitburger, Radeberger oder Veltins bei Trinks oder DGL) selbst an einem Streckenverleger beteiligt ist.

Huesch erklärt, dass auch in puncto Warehousing jedes Jahr derselbe Fehler gemacht wird: „Die richtigen Kapazitäten zum richtigen Zeitpunkt vorzuhalten.“ Die Industrie und auch der LEH müsse besser und digitaler kommunizieren, wann Aktionen, Displays und das Sommergeschäft richtig anlaufen. Mit diesen Informationen könnte sich der GFGH vorbereiten. Denkbar sei ein Vergütungsbonus für den GFGH, damit dieser für den durch Feste und Out-Of-Home-Konsum viel höher durchmischten Leergutrücklauf im Sommer extra Personal anwerben kann. Aber auch auf Seiten der Verleger passieren jedes Jahr dieselben Fehler. So würde im Sommer bedingt durch die Ferienzeit zu viel Personal fehlen, das durch den Kostendruck in den letzten Jahren kaum durch Saisonarbeiter oder Werkvertragsdienstleister ersetzt wird. Huesch fasst das Dilemma zusammen:

„Die Industrie und über schlechtere Warenverfügbarkeiten auch der LEH haben das Problem, sind aber nicht bereit dem GFGH eine bessere Vergütung zu zahlen, um die Supply Chain etwas standfester zu machen und auf jährliche Saisonmengenschocks zu reagieren. Und der GFGH wird natürlich aus eigenem Antrieb nicht unbezahlt extra zusätzliche Kosten und Kapazitäten aufbauen, um der Industrie die Arbeit zu erleichtern.“

Wo sind die Roboter?

Hoffnungen für den Leergutkreislauf ruhen auf der Automatisierung im Strecken-GFGH und bei den Sortierdienstleistern. Doch die Investitionen finden in viel zu kleinem Umfang statt. Obwohl leistungsfähige Roboter auch für die Feinsortierung im Markt verfügbar sind. Doch das Know-how ist rar gesät. Nur die großen Player wie Trinks, DGL oder Leiter, aber auch Logipack und LLS oder Heurich, einer der größten Flaschensortierer in Deutschland, bauen auf Automatisierung. Nur so ließe sich der Mehrwegzyklus langfristig rechenbar halten. Dem GFGH fehlt neben Know-how für die Automatisierung vor allem das Geld, sprich einkömmliche Margen. Deshalb sei auch in diesem Punkt eine Kommunikation zwischen GFGH, LEH und Industrie essenziell.

„Das wird immer wieder falsch gemacht, bis der Druck so hoch ist, dass die Industrie und auch der LEH merkt, es ist sinnvoller, ein paar Cent mehr pro Kiste zu bezahlen, damit der GFGH seine Margen ein bisschen erhöhen kann und Geld übrigbleibt, um dort zu investieren.“

Erster Schritt: Lückenlose Dokumentation

Um das Leergut müsse sich flächendeckend unbedingt ein richtiges Dienstleistungsumfeld aufbauen. Viele kleinere GFGH seien bereits auf einem guten Weg. Huesch rät: Jeder GFGH, der Flaschen sortiert oder Leergut-Services als zukünftige Dienstleistung sieht, sollte Statistiken führen, um den Anstieg der Durchmischung zu beweisen und den entsprechenden Preis für den einzelnen Kasten fordern zu können. Das müsse transparent mit der Industrie abgesprochen werden.

Einige GFGH verfügen über einen digitalen Kosten-Zwilling mit dem sie beweisen können: „Dieser Kasten von diesem Hersteller hat mit Abstand die allerhöchste Durchmischung und verursacht in der Sortierung genau die Kosten XY.“ Dafür muss der GFGH auch seine Prozesskosten kennen und fortlaufend analysieren. Auf der Datenbasis können zukünftige Simulationsrechnungen für die nächste Saison gemacht werden, in der die Saisonmengenstruktur im Leergut mit nochmal 3-5% mehr Durchmischung dargestellt werden, damit der GFGH weiß, wie viel Geld er für die Bereitstellung der Kapazitäten und des Personals im nächsten Jahr braucht. So könne Investi­tionsdruck für Sortierautomatisierung früh erkannt, preislich abgestimmt und abgearbeitet werden.

Das „Problem Mehrweg“ ist aus Hueschs Sicht für den GFGH eine Chance: „Die Flaschensortierung im GFGH – also vor der Brauerei – reduziert Supply Chain-übergreifend erhebliche Kosten und CO2-Belastungen pro Kasten im Vergleich zum Flaschentourismus bei einer Sortierung in der Brauerei mit nachfolgendem Flaschenhändler und ist für den GFGH eine lukrative Dienstleistungsoption.“