Die Glashütten in der Ukraine zerstört oder stillgelegt, die in Russland abgeschnitten und die westlichen Hütten vor brutalen Energiekosten-Problemen: Die zuletzt immer stärker auf Glas fixierte Getränkebranche landet unsanft in einem auferzwungenen Strukturwandel.
Rund 20% der deutschen Bierflaschen stammen aus Glaswerken in Russland und in der Ukraine. INSIDER gehen davon aus, dass durch den Krieg und die damit verbundenen Sanktionen dem europäischen Markt kurzfristig 1,5 Mrd Flaschen fehlen – besonders Einwegflaschen, also solche für den Export und für jene Länder, die über keine Pfandsysteme verfügen.
Schon vor der dem Einmarsch der Russen in die Ukraine ächzte die Getränkeindustrie unter langen Lieferzeiten. Von Herstellerseite hieß es gegenüber INSIDE lakonisch: Wer sich jetzt noch darauf verlasse, dass langfrististige Lieferkontrakte eingehalten würden, werde im Sommer dann halt in Plastiktüten abfüllen.
Verallia unterhält in Russland und in der Ukraine drei seiner insgesamt sieben europäischen Werke. Letzte Woche fuhr der Konzern die Produktionslinien in seinem Werk im ukrainischen Zorja „geordnet und kontrolliert herunter“. Im vergangenen Jahr belief sich der Umsatz dort auf rund 50 Mio Euro.
Wettbewerber Vetropack hatte schon am 24. Februar die Produktion der PrJSC Vetropack Gostomel bei Kiew eingestellt und die Mitarbeiter bei vollem Gehalt vorübergehend freigestellt. Anfang März wurde das in der Nähe eines Flughafens gelegene Werk durch militärische Aktionen schwer beschädigt (siehe Bild oben); eine zeitnahe Wiederaufnahme des Betriebs scheint derzeit nicht möglich. Bis dahin produzierte Vetropack in Gostomel mit drei Schmelzwannen und acht Produktionslinien unterschiedliche Glasverpackungen.
In Deutschland wiederum treiben die derzeitigen Energiepreise allen Glasherstellern die Schweißperlen auf die Stirn. Die Energiekosten liegen um 350 % höher als im Vorjahr. In thüringischen Werken von Wiegand und Heinz wurden neu angeschaffte und im Markt eigentlich dringend ersehnte Schmelzwannen vorerst nicht in Betrieb genommen. Der Bundesverband Glasindustrie (BV Glas) schlägt Alarm und leitet politische Forderungen ab: die rückwirkende Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Januar, Begrenzung des Erdgaspreises durch die kurzfristige Einführung von sog. Caps, eine Ausweitung der EU-Strompreiskompensation auf die Glasindustrie, langfristig ein Industriestrompreis für die energieintensive Grundstoffindustrie und die Untersuchung „möglicher wettbewerbswidriger Verhaltensweisen auf dem Energiemarkt“.
Doch es hilft nichts: Selbst optimistische Branchenbeobachter rechnen „sehr kurzfristig“ mit Preisaufschlägen von 20 bis 30%, ungeachtet der Tatsache, dass es Ende 2021 schon eine Preiserhöhungsrunde von bis zu 10% gegeben hatte. Die Flaschenpreise bewegen sich zwar längst jenseits der für sich erhobenen Pfandwerte; der Trend zum Glas und weg von PET ist ungebrochen. Mittlerweile warnen selbst Mehrweglobbyisten, dass zu viele Individualgebinde bei zu geringen Kapazitäten der Glashütten unterwegs seien (INSIDE 886). Die heißen Sommer der vergangenen Jahre mit ihren „Vollgut nur gegen Leergut“-Kampagnen lassen erahnen, was auf die Branche zukommt.
Am Ende könnte die sich abzeichnende Glasflaschen-Malaise bewirken, was der geeinten Front von GS1 und dem LEH vor Jahren nicht gelang und wofür Poolgesellschaften/-genossenschaften wie GeMeMa und MPB massiv Überzeugungsarbeit leisten müssen: die Wertschätzung von Poolsystemen und der Aufbau von Pfandsystemen in Europa - auch wenn die Bereitschaft, eigene Individual-Bestände zugunsten neuer Mehrweg-Pools aufzulösen, bei der jetzigen Glas-Knappheit eher übersichtlich sein dürfte. Ein INSIDER: „Da geht´s ums Überleben, auch ohne eine rot-gelb-grüne Bundesregierung.“