Noch kein INSIDER?

JETZT ZUGANG SICHERN!

Wählen Sie Ihre Anmeldeoption.

Schnell und unkompliziert INSIDER werden!

Weiter

Print-Ausgabe

#949

Himmelfahrts-Kommando Christinen

Glaspreise: Hat sich die Industrie verspekuliert?

Was ist nur mit den Glaspreisen los? Noch immer rangieren die Preise weit über Vorkrisenniveau, Linderung ist nicht in Sicht. Die großen Hersteller ventilieren indes Bad News: Der Absatz bei Getränkeflaschen knallte 2023 in den Keller.

Unstrittig ist mittlerweile: Zu Beginn des Ukraine-Krieges deckten sich viele Brauer und Brunnen mit Neuglas ein, wohlweislich antizipierend, dass die Glaspreise bald steigen würden. Das taten sie dann auch: auf bis zu 26 Cent bei NRW-Bottles (trotz der aktuellen Überhänge im Markt), auf deutlich über 30 Cent bei Bügelflaschen und auf rund 30 Cent bei Euro-Pullen. Mal drüber, mal drunter, je nachdem. Verhandlungssache. Und Zeit für Populisten. Bis heute postet der bei BILD geschasste Rechtsaußen Julian Reichelt auf seinem eigenen Kanal einen Beitrag von 2022, wonach Flaschen bis zu 1,60 Euro kosteten – und die Grünen daran schuld seien. Natürlich Quatsch.

Erstaunlich: Trotz extrem rückläufiger Verkaufszahlen bleiben die Preise hoch. Über sein Aktionsforum Glasverpackung beklagte der Bundesverband Glasindustrie unlängst Absatzrückgänge von 16,9 % bei Getränkeflaschen. Bei Bier und Spirituosen betrug die Differenz sogar 20,2 %. Man konstatiere, heißt es, einen Rückgang der Nachfrage und den „Abbau von Lagerbeständen“. Auf die Frage nach Über- oder/und Unterkapazitäten reagieren Verband/Forum aber eher schmallippig: Nicht unsere Sache. Werden die Glashersteller Opfer ihrer eigenen Politik?

Die Nachfrage sinkt, die Preise kaum

2023 war für so gut wie alle Getränkehersteller ein Jahr zum Vergessen. Laut Nielsen IQ-Experte Marcus Strobl (INSIDE 944) verlor allein die Kategorie Bier im Jahr 2023 in LEH und GAM rund 3,4 % Absatz, allerdings inkl. der Dosen- und PET-Gebinde. Ohne diese beiden Verpackungsarten dürften bei der Glas-Mehrweg-Flasche damit über 4 % verloren gegangen sein. Das entspricht in etwa den Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Demnach gingen 2023 4,2 % Inlandsabsatz über den Jordan, gut 3 Mio hl. Und auch bei den Brunnen gab es nichts zu holen: Am Ende des Jahres stand ein Minus von 3,4 % Absatz. Die Nervosität bei den Glashütten ist hoch, der Preisdruck auch.

Ukraine top, Schweiz hopp

So feierte sich der Glashersteller Vetropack noch vor einem Jahr für die Wiederherstellung seines Standorts Gostomel bei Kiew in der Ukraine (das Werk war 2022 durch militärische Aktionen schwer beschädigt, zuvor hatte Vetropack dort mit drei Schmelzwannen und acht Produktionslinien unterschiedliche Glasverpackungen produziert). Doch während die Produktion in der Ukraine langsam wieder hochfährt, kam es dieser Tage zum großen Knall in der Schweiz: Angesichts eines rauer gewordenen Marktumfelds lohnten sich am Standort Saint-Prex neue Investitionen in Höhe von 30 Mio Franken nicht, teilte das Management mit – was das Aus des Werkes bedeuten dürfte.

Da werden die Flascheninspektoren eben mal neu justiert: Reibring lässt grüßen

Was mit dem „rauen Marktumfeld“ gemeint ist, veranschaulichen Brauer und Brunnen, die lieber nicht genannt werden möchten, bei Besuchen in ihren Abfüllungen. Je teurer die Bottles, desto höher die Schmerzgrenze bei der Feinjustierung der Flascheninspektoren. Ein Reibring als Indikator der derzeitigen Befindlichkeit. Das zumindest bei den Brauern lange Zeit ausgerufene Versprechen von 4 - 5 % Neueinspeisung wird derzeit lustvoll pulverisiert. Die Branche ist schon froh, wenn am Ende 2 - 2,5 % dabei rauskommen (ein Eldorado für kommerzielle Mehrweg-Sortierer: Mittlerweile werden offenbar bis zu 50 Cent/feinsortierte Kiste on top aufgerufen).

Wer bei den Glashütten herumfragt, erhält unter der Hand fast immer die gleiche Antwort: Projekte liegen auf Eis, für Neuinvestitionen fehlen Fantasie und Geld. Zudem drängt offenbar immer mehr Konkurrenz aus dem osteuropäischen Ausland nach Deutschland, die zu Preisen frei Haus liefern, bei denen deutsche Hütten noch nicht mal die Deckungsbeiträge abbilden.

 

Artikel aus Heft 949