Die Kurve der Bierpreisentwicklung in Deutschland verläuft seit Jahrzehnten flach. Für den Handel ist die Kiste Bier im Aktionspreis seit jeher ein beliebtes Lockmittel. Aber sind Ramschpreise unterhalb der 10 Euro tatsächlich ein Muss? Wer trägt Schuld an der ewigen Billig-Bier-Misere – Hersteller oder Handel?
Ein Gastbeitrag von Georg Gorki
Bei Preiserhöhungen sind sich Hersteller und Handel selten einig. Emotional aufgeladen ist dieses Thema vor allem beim Bier. Tiefpreise von 9,99 Euro – vor allem bei Pils – nutzt der Handel seit Jahren als Lockmittel. Seit der Konzentration auf wenige mächtige Handelsketten fällt das noch mehr ins Gewicht. Ein Ärgernis für die (meisten) Hersteller. Das Gejammer der Brauer kann ich dabei nachvollziehen, aber sie haben sich selbst in diese Situation gebracht. Was wir heute erleben, ist das Ergebnis einer verfehlten oder nicht vorhandenen langfristigen Vermarktungsstrategie der Brauer.
Um das zu verstehen, muss man in den gesamten FMCG-Bereich hineinschauen. Dort sind die meisten Warenkategorien regelmäßig im Dialog mit dem Handel, Preisanpassungen werden häufiger gemacht als beim Bier. So können beide Seiten solide Wertschöpfungskriterien für sich generieren. Ganz anders die Situation bei Bier. Da gab es in der Vergangenheit Phasen, in denen es fünf oder sechs Jahre lang überhaupt keine Preiserhöhung gab, der Handel seine Notwendigkeit von Konditionsanpassungen in den Jahresgesprächen jedoch durchgesetzt hat. Die Brauereien wären gut beraten, eine gesunde Balance zu finden zwischen der Vorgehensweise internationaler Großunternehmen (auch im Bier- und AfG-Bereich), die in der Regel mindestens einmal im Jahr Preiserhöhungen machen, und dem soliden Food-Mittelstand (FMCG außer Bier/AfG), der etwa alle zwei Jahre an der Schraube dreht.
Das Ziel einer Preiserhöhung muss erklärt werden
Natürlich sollte der Bogen nicht überspannt werden. Eine Preiserhöhung darf keinen größeren Effekt als einen Euro VK pro Kiste Bier haben. Das ist manifestiert. Aber das gilt es auch zu besprechen, da ggf. veränderte Marketingpositionierungen des Produzenten auch andere Größen zulassen. In anderen Warengruppen wie Süßwaren, Feinkost, Kosmetik oder Drogerie herrscht eine ganz andere Methodik. Dort wird gezielt über Preisschwellen gesprochen und warum und wann diese zu überspringen sind. Häufig werden hier von den Produzenten im Vorfeld Feldversuche durchgeführt, um Sicherheiten zu stabilisieren.
Bei einer typischen Verhandlung zwischen Getränkeindustrie und Handel sieht das hingegen so aus: Die Industrie macht eine Preiserhöhung, geht zum Handel und diskutiert diese. Die Industrie erklärt aber nicht, was sie mit dieser Preiserhöhung eigentlich machen möchte und warum diese stattfindet. Gibt es eine veränderte Marketingstrategie? Welche Zielkunden möchte man zusätzlich ansprechen? Welche expliziten Kostenerhöhungen finden auf welcher Position statt und welche Auswirkung hat diese auf den Erstellungspreis (in Zeiten wo der Handel über effiziente Rohstofftools, Zutatenlisten und Vertikalisierungsstrategien verfügt)? Wie kann man sich gemeinsam Ziele setzen, um auch zu überprüfen, ob die Strategie der Industrie beim Handel wirklich wirkt? In Kanälen mit hohem Fachmarktanteil gibt es Händler, die mit der Industrie hierzu Ziel-Flächenproduktivitäten besprechen.
„Dem Handel bleibt gar nichts anderes übrig, als in alte Rituale zurückzufallen“
Wenn also keine Sicherheiten gegeben werden, dass Preiserhöhungen durch eine vom Marketing abgesicherte Kundenakzeptanz abgefedert werden, sodass es keinen Kundenabriss, sprich einen Verlust an Menge bzw. Erträgen gibt, bleibt dem Handel gar nichts anderes übrig, als in alte Rituale zurückzufallen. Vielmehr zeigen meine Erfahrungen, dass die von den hausinternen Marktforschungsabteilungen der Industrie gezeigten Prognosen relativ selten eingetreten sind. Auf den dann folgenden Flächen-Produktivitätsverlusten bleibt der Handel und damit der Einkäufer dann immer allein sitzen.
Preisbilder von 9,99 Euro für Marken-Pils werden aber ab der nächsten Preisrunde, mit der ich 2025 rechne, nicht mehr so häufig im Handzettel direkt auftauchen. In der Werbung werden 10,99 anvisiert. Allerdings profitieren Inhaber digitaler Kundenkarten (Payback, Kaufland-App, etc.) von zusätzlichen Rabatten. Blicken wir noch weiter in die Zukunft, rechne ich damit, dass ab 2028/29 im normalen VK die 20-Euro-Schwelle für Pils fällt. In der Aktion wird dann die 11-Euro-Schwelle überstiegen.
Mehrweg ist eine Waffe
Warum steigen die Aktionspreise nicht schon in 2023? Tendenziell wird sich sicher der durchschnittliche Aktionspreis nach der Industriepreiserhöhung in diesem Jahr leicht erhöhen. Der Kampf um den Kunden und Marktanteile aufgrund der Inflation wird sich durch das Jahr ziehen und Vollsortimenter wehren sich gegen Kundenabwanderungen zum Discounter. Hier ist Mehrweg eine Waffe, neben einem überdurchschnittlichen Gesamtwarenkorb, die der Discounter schlichtweg in der Regel nicht hat. Die Aktionspreise im Pils vor Ostern 2023 unterlegen diese Prognose.
Die Krise ist kein Freibrief
Im hier und heute dürfen die unruhigen Zeiten auf keinen Fall als Freibrief für Preiserhöhungen verstanden werden. Die Vorstandsvorsitzenden der zwei größten LEHs in Deutschland zeigten vor einigen Monaten in einer kritischen Diskussion über Preise auf, dass vor allem internationale Unternehmen die Krise nutzten, um ihre Erträge nach oben zu schrauben. Die gaben sogar zu, dass sie ihre Erträge in Deutschland optimieren mussten (als Beispiel kann man hier die Firma Mars aufzeigen, über die es Edeka sogar in die Primetime-Nachrichten geschafft hat). Das führte in Hamburg und Köln dazu, dass die Einkäufer von ganz oben den Auftrag bekommen hatten, keine Preiserhöhungen mehr zu akzeptieren. Die Industrie erschien dem Handel gegenüber nicht mehr glaubwürdig. Diese Situation hat sich teilweise etwas entspannt, da die Industrie teilweise tatsächlich einzelne Kostenpositionen aufzeigen konnte, die sich zwischenzeitlich erhöht hatten und über Rohstofftools und Zutatenlisten belegbar waren (dies war auch der Grund, warum es Eigenmarkenproduzenten deutlich einfacher hatten, da hier eine 100% Transparenz vorliegt). Die nun anstehenden Preisverhandlungen aufgrund möglicher sinkender Rohstoffkosten werden die Spielregeln für die Zukunft festlegen.
Mehrweg hat die schlechteste Flächenproduktivität
Das macht es vor allem für die Getränkeeinkäufer schwierig. Sie stehen in Deutschland innerhalb ihrer Häuser unter Beschuss. Sonst übliche Regularien gelten bei Getränken nicht. Trotzdem werden gleiche/bessere Renditen erwartet. Das ist aufgrund fehlender Wertschöpfung seitens der Industrie und unregelmäßiger Preiserhöhungen nicht möglich. Hinzu kommt, dass sich die Händler heutzutage mit der ganzheitlichen Produktivität von Flächen auseinandersetzen. Im Bier- bzw. im gesamten Mehrweg-Bereich gibt es allein schon aufgrund der Größe einer Kiste die schlechteste Flächenproduktivität im Verhältnis zu anderen Warengruppen (die Bereitstellungsfläche für die Leergutabwicklung noch nicht berücksichtigt). Die Tendenz zeigt: Mehrweg-Flächen werden zu Gunsten von Sushi-Points oder ähnlichem zurückgeführt. Die Zeiten der Profilierung über Mehrweg scheint im Anspruch für die Vollsortimenter nun vorbei zu sein.
Hersteller müssen Absätze breiter streuen
Für Hersteller wird künftig immer wichtiger, die Absätze breiter zu streuen. Nur so kommen sie in eine bessere Verhandlungsposition. Das Zustellgeschäft von Flaschenpost und Co. wird für den gesamten FMCG-Bereich einmal 10 Prozent erreichen können. Der Getränkefachmarktkanal hat das Potenzial von ca. 15 auf 30 Prozent Marktanteil zu wachsen. Wir reden also über ungefähr 25 Prozent Marktanteilsveränderung bis ins Jahr 2030. Dadurch verändern sich auch Marktverhältnisse. Und das kann dazu beitragen, Abhängigkeiten zu verändern und unabhängiger von einzelnen Kanälen zu werden.
„Für Eitelkeiten von Produzenten ist heutzutage kein Platz mehr“
Klar ist dabei auch: Für Eitelkeiten von Produzenten ist heutzutage kein Platz mehr. Priorität hat nur die Eitelkeit der Kunden. Der Vertriebskanal, der die Kundenwünsche am besten erfüllt, gewinnt. Der LEH kann die Erwartungshaltung der Kunden bei Getränken oft nicht befriedigen (und das bei rückläufigen Kaufkontakten). Das liegt vor allem daran, dass kein Getränkeeinkäufer sicherstellen kann, dass die Warenverfügbarkeit permanent gewährleistet ist. Der Handel wird auch hier von Sortimenten der Industrie erschlagen. Das Ergebnis: Im Sommer sind viele Marken oder deren Ausprägungen nicht mehr lieferfähig, weil diese schlicht weg aufgrund von Leergutmangel oder zu langen Umrüstzeiten auf den Abfüllstraßen nicht mehr produziert werden (man stelle sich einmal vor, es würde im Sommer keine Sonnenmilch mehr geben).
Diese Vorgehensweise löst nicht nur in den Vorstandsetagen großer LEH-Konzerne, sondern auch bei den Kunden – gelinde gesagt – ein Kopfschütteln aus. Für den Kunden ist hier zuerst einmal die präferierte Wocheneinkaufsstätte – der Händler – Schuld. Das ist jetzt die Chance für den Getränkefachmarkt – vor allem wenn dieser auch noch digital auf der Höhe der Zeit ist – wie beispielsweise Thorsten Schön von Pro Getränke mit seiner App-Lösung Bottle-O. Ich hoffe, dass dies die Produzenten auch in der Gesamtsicht der Supply Chain so sehen. Nur eine Unterstützung moderner Vermarktungsalternativen, die auch liefern müssen, mindern die o.g. Abhängigkeiten und stärken mittel und langfristig vielleicht sogar Unabhängigkeiten und damit Ertragssicherheiten.
„Dem Handel immer den schwarzen Peter zuzuschieben, ist zu kurz gedacht“
Fazit: Die Brauer sollten für ihre Verhandlungen einen anderen Rhythmus wählen, sie müssen selbstbewusster und besser vorbereitet auftreten, dabei aber weniger Eitelkeiten an den Tag legen. Dem Handel immer den schwarzen Peter zuzuschieben, ist zu kurz gedacht. Warum wird denn so viel Geld in diesem Kanal verbrannt, wenn Bier dort so sehr unter Druck steht? Die Erklärung kann doch nur sein, dass die Industrie die günstigen Preise nicht unerheblich unterstützt – auch wenn vordergründig immer behauptet wird, sie tut es nicht. Das stimmt nicht, denn auch auf dieser Fläche muss nachweisbar im Gesamtkontext eine Produktivität erzeugt werden.