Bei vielen mittelständischen Brauern blieb 2022 kaum Geld hängen. Sie kritisieren Angebots-Manie und „Preisträgheit“. Von den nun geplanten Preiserhöhungen fließt nur die Hälfte in ihre Kasse. 2023 schlagen einige Kostensteigerungen erst voll ins Kontor, zudem dürften die Löhne kräftig steigen. Feierstimmung herrscht nicht einmal bei den „Überfliegern“.
Was macht dieser Tage ein Brauer, der 20% mehr Absatz (Hauptsorte Pils sogar +22,9%) als im Vorjahr und gut 10% mehr als im Vor-Krisen-Jahr 2019 macht und beim Fassbier wieder bei 94% von 2019 liegt (während die meisten Hersteller bei maximal 80% sind)? Feiern – sollte man meinen. Und klar, der Chef der vor dem Wachstum gut 80.000 hl großen Westerwald-Brauerei, Jens Geimer, ist nicht unzufrieden - zumal er anders als die meisten Konkurrenten jetzt 12 Mitarbeiter mehr beschäftigt als vor drei Jahren. Von einem rauschenden Fest wollen aber selbst die weit über Markt schwebenden Hachenburger nichts wissen. Beim Blick auf die wirklich entscheidenden Zahlen überrascht das nicht.
Der Freie Brauer Geimer liegt 2022 unter seinem 2019er-Ergebnis (plus 567.000 Euro) – als einer der großen Gewinner. Ein INSIDER sagt: „Hachenburger hat alle Hausaufgaben an allen Fronten gemacht (Energieeinsparung durch moderne Anlagen, CO2-Rückgewinnung, Photolvoltaik, Flexbio, etc.). Wenn die 2022 weniger verdient haben, kann man sich ja ausrechnen, wie es anderswo aussieht.“
Bei einem anderen Mittelständler auf der Überholspur, ebenfalls Freier Brauer, der Privatbrauerei Waldhaus aus Baden-Württemberg, sieht es ähnlich aus: Absatz seit 2019 gesteigert von 102.000 auf über 104.000 hl, das Ergebnis für 2021/22 bleibt aber hinter besten Zeiten (862.000 Euro Gewinn nach Steuern 2019/20) zurück. Die Branchenkrise ist jetzt auch schwarz auf weiß da – vor allem im Mittelstand.
Die Gründe liegen auf der Hand: Laut GfK-Zahlen war Bier im Endverbraucherpreis zwischen Januar und August 2022 mit 1,26 Euro pro Liter exakt gleich teuer wie im gleichen Zeitraum 2021. Die reale Preissteigerung also: null. Kein Wunder, ist der Aktionsanteil in der Krise doch einmal mehr gestiegen und liegt bei nationalen Pilsmarken über 78% – bei mittlerweile 3,46 Euro Lücke zwischen Normal- und Angebotspreis (INSIDE 918). Viele dürften Geimers Ansage teilen: „Dass einige Großbrauereien und Mittelständler so in Schieflage geraten sind, liegt auch daran, dass deren Bierkasten teilweise für 10 Euro im Angebot verkauft werden. Das kann nie und nimmer kostendeckend sein – weder für die Hersteller noch für den Handel.“ Hachenburger verkauft rund 20% des Bieres zum Angebotspreis, der bei 20x0,5 Liter Pils etwa zwei Euro unter dem Normalpreis (14,99 Euro) liegt. Waldhaus verzichtet komplett auf Preisaktionen.
Viele Mehrkosten schlagen erst 2023 durch
INSIDER kritisieren nicht nur den Aktionspreis-Wahn, sondern die seit Jahren bestehende „Preisträgheit“ der Branche. Der Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts spricht eine klare Sprache: Nahrungsmittel insgesamt liegen heute 39,9% über den Preisen von 2015, Bier nur 17%. Dabei bestreitet niemand, dass gerade das rohstoff- und energieintensive Brauen besonders durch Preisexplosionen gebeutelt ist. Der Deutsche Brauer-Bund hat das jüngst mit einem Vergleich zwischen November 2021 und November 2022 erneut beziffert: Braumalz 90% teurer, Gas 750%, Neuglas 70% – und so weiter.
Doch der Druck im Handel bleibt enorm. Zum Anfang dieses Monats erhöhen zwar zahlreiche Brauer (darunter auch große wie Veltins, Bitburger und Warsteiner) die Preise. In der Regel jedoch um einen Euro pro Kiste (so übrigens auch Hachenburger) – zu wenig. Zumal INSIDER wissen: Abzüglich Mehrwertsteuer und dem Stück vom Kuchen für den Handel bleiben den Herstellern davon maximal 50 Cent übrig. Bei schnelleren Preissprüngen nach oben allerdings zieht der LEH prompt sein schärfstes Schwert: Auslistung. Nicht nur Konzerne wie AB Inbev (aktuell bei Rewe, vgl. S.2), auch Mittelständler sind betroffen. So wie das Einbecker Brauhaus, deren 9-Euro/hl-Erhöhung die Edeka partout nicht akzeptieren wollte. Nach einigen Tagen war die Kuh vom Eis, Einbecker steht wieder im Ordersatz.
Selbst wenn sich – und das sind die optimistischeren Prognosen – die Kosten insgesamt auf rund 20% über Vor-Krisen-Niveau einpendeln, kann von Entspannung keine Rede sein. Rund die Hälfte der teureren Beschaffung hat sich bislang wegen noch geltender Altverträge nicht durchgeschlagen. Dazu dürfte ein Tarifabschluss für die Beschäftigten mit einem Lohnplus von schätzungsweise 10% kommen. Ob der Biermakt obendrein 2019er-Niveau auch nur annähernd erreicht, darf angesichts der derzeitigen Konsumzurückhaltung bezweifelt werden. Dass in diesen Zeiten selbst die äußerst erfolgreichen Westerwälder nicht groß feiern – verständlich.
Artikel aus INSIDE 919