Im Gespräch mit Jens Geimer
Die Westerwald-Brauerei will als Mittelständler mit Qualität, Innovation und Bodenständigkeit erfolgreich sein. In den vergangenen Jahren gelang das. Doch wie können die Hachenburger mittelfristig in einem schrumpfenden Markt bestehen? Und was haben sie aus Silicon Valley für ihren Betrieb mitgenommen? Einer sollte es wissen: Der 47-jährige Jens Geimer, der die Brauerei seit 2009 mit viel Leidenschaft anführt.
Herr Geimer, Sie waren vergangenen Herbst mit Ihrem Führungsteam um Vertriebschef Benny Walkenbach im kalifornischen San José. Mal ehrlich: Hat Ihnen das für Ihre Brauerei etwas gebracht?
Hat es, ja. Natürlich unterscheidet sich die Philosophie der Unternehmensführung dort von unserer massiv. Das Ziel war gar nicht, hier alles Eins zu Eins auf eine mittelständische Brauerei im Westerwald zu übertragen.
Worum ging es dann?
Vor allem um das Mindset, wie man heute so schön sagt.
Können Sie das erklären?
Die Mentalität, wie man Fragestellungen im Unternehmen angeht und zu guten Lösungen kommt, ist uns wichtig. In den USA ist man da tendenziell viel konsequenter. Ein Beispiel: Wenn man viel in ein Projekt investiert und sieht, dass es nicht funktioniert, dann kappt man es kompromisslos und versucht nicht, den toten Gaul weiterzureiten. Mit dieser Konsequenz wollen wir auch arbeiten – das sieht man zum Beispiel an unserem Sortiment, in dem wir regelmäßig ausmisten und etwas Neues probieren.
Haben Sie sich noch etwas abgeschaut?
Vieles. Wir arbeiten bei uns beispielsweise in mehreren gemischten Teams, von Azubi bis Inhaber, an Themen. Uns ist einerseits wichtig, dass jeder Mitarbeiter mitdenkt und nicht nur seine Kernaufgaben erledigt. Dazu kommt, dass wir intern maximal mögliche Transparenz leben wollen.
Wie sieht die aus?
Alles, was wir tun, finden die Mitarbeiter in einer App. Darin werden Aufgaben, persönliche Ziele, Termine und so weiter eingespeist. So arbeiten wir effizient und es gibt keine Geheimnisse.
Gibt es auch Bereiche, in denen Sie sich mehr erhofft hatten von Ihrem Abenteuer USA?
Vor allem einen: New Work. Da müssen wir einfach anerkennen, dass wir bei den Tätigkeiten, die in einem Industriebetrieb wie einer Brauerei anfallen, an Grenzen stoßen. Einfach gesagt: Der Braumeister kann das Bier nicht zuhause herstellen und der Vertriebsmann kann es nicht vom Wohnzimmer aus verkaufen.
Wie kann man sich die Arbeitskultur bei der Westerwald-Brauerei dann vorstellen?
Wer nichts tun will, ist bei uns falsch. Zum Brauereialltag gehören teils Zehn-Stunden-Tage, das ist anstrengend. Wir können nur mit Leuten zusammenarbeiten, die das leben und gerne tun. Hundertprozentige Identifikation ist in einer ländlichen Region wie dem Westerwald Grundvoraussetzung. Arbeitszeit und Freizeit lassen sich gar nicht vollständig trennen. Überall, wo man hier hingeht, ist man Botschafter der Brauerei. Das vermitteln wir auch vom ersten Tag an.
Wie tun Sie das?
Wer hier arbeitet, egal in welcher Funktion, muss jeden Ort in unserem Gebiet kennen und jedes Produkt von uns. Und er muss, um auf das Thema zurückzukommen, unsere Mentalität verkörpern. Wenn wir abheben, unser Service nachlässt oder unsere Qualität, sind wir am Ende. Das können wir uns nicht leisten bei zum Teil günstigeren Konkurrenten.
Wie gelingt es, sich da erfolgreich zu behaupten?
Wir müssen die Menschen hier gut kennen. Ist ein potenzieller Kunde Mitglied in einem Verein oder im Gemeinderat? Engagiert er oder sie sich kulturell oder ehrenamtlich? Das sind unter anderem Fragen, die wir für uns zu klären versuchen. Ein Teil der Strategie ist auch unsere deutlich gewachsene Erlebnis-Brauerei, in der wir etliche Events auf die Beine stellen, um die Brauerei und ihr Handwerk greifbar zu machen. Dabei geht es gar nicht darum, direkt das große Geld zu verdienen. Wir setzen damit vielmehr auf unsere tiefe Verankerung in der Region. Unsere Kunden laden wir regelmäßig zu Kinoabenden oder ähnlichem ein. Ich selbst schaue immer wieder in den Gastronomien im Westerwald vorbei, die unsere Biere haben, und höre nach, wie es läuft. Nur mit dieser Intensität und Ernsthaftigkeit funktioniert es aus meiner Sicht.
Sie setzen neben Regionalität auch auf das Thema Klima, haben Ihren CO2-Abdruck in den vergangenen Jahren halbiert, gelten durch Kompensation schon als klimaneutral…
Genau. Alle Autos und alle Stapler sind bereits elektrisch, der erste E-Lkw ist nun auch im Fuhrpark. Wir produzieren 20 Prozent unseres Stroms selbst. Biogas deckt zudem bereits 12 Prozent unseres Gasbedarfs. Wir wollen aber noch deutlich mehr tun.
Was ist geplant?
Gerade bauen wir eine Solaranlage auf eines der Brauereidächer – mittelfristig wollen wir 60 Prozent des Stroms selbst erzeugen. In einem Pilotprojekt mit der Firma Wellmann Anlagentechnik installieren wir zudem eine CO2-Rückgewinnungsanlage. So sollen 500 Tonnen CO2 pro Jahr aufgefangen werden. Es sind aber auch die kleinen Dinge: Wir arbeiten zum Beispiel bereits nahezu 100 Prozent papierlos. 2030 möchten wir auch aus eigener Kraft klimaneutral sein.
Die beste Firmenkultur und eine gute Klimabilanz sind dennoch nur die Hälfte wert, wenn das Kerngeschäft schwächelt. In den vergangenen Jahren konnten Sie auf rund 100.000 Hektoliter wachsen. Aber kann das bei einem tendenziell rückläufigen Markt so weitergehen? Und wenn ja, wie?
Die Brauerei war vor meiner Zeit auch mal 200.000 Hektoliter groß, deswegen sehe ich durchaus noch Potenzial. Das Pils, das wirklich gut läuft, steht für uns immer im Zentrum. Uns helfen darüber hinaus erfolgreiche Neueinführungen wie unser Helles (macht etwa 10 Prozent am Absatz aus; Anm. d. Redaktion) oder seit Mitte 2022 Kalter Kaffee (Cola-Mix). Ich glaube auch weiter an den Markt der alkoholfreien Biere und finde das Thema Leichtbiere spannend. Eins müssen wir aber sehen…
Was?
Der sogenannte Heavy User, der regelmäßig große Mengen abnimmt, ist eine aussterbende Spezies. Es gilt darum perspektivisch, qualitativ hochwertige Produkte zu höheren Preisen zu verkaufen. Preis-Dumping kann bei dieser Entwicklung nicht die Strategie sein. Dass Qualität für uns an erster Stelle steht, zeigen wir ja unter anderem durch den ausschließlichen Einsatz von Aromahopfen und die sechswöchige Reifung. Da machen wir keine Abstriche, auch wenn das kostenintensiv ist.
Interview und Foto: Tom Trilges