Auf wundersame Weise ist nach Wochen der Verunsicherung plötzlich wieder CO2 da. Was da wohl nachgeholfen hat?
Noch vor drei, vier Wochen galt Alarmstufe Rot. Hersteller wie Verbände bekamen Pickel, wenn die nächste Force Majeure-Nachricht vom CO2-Lieferanten kam. Immer wieder fuhren Brauer die Produktion von Limonaden runter, etwa Aldersbacher, die Privatbrauerei Schweiger in Markt Schwaben (füllt auch Spezi, Aqua Monaco und Pölz), Nordbräu, Ingolstadt, die Aktienbrauerei Kaufbeuren oder die Apoldaer Brauerei aus Thüringen. Der Bayerische Brauerbund stampfte in Windeseile eine Solidaritätsaktion unter Brauern aus dem Boden, an die sich vor zwei Wochen auch der Deutsche Brauer Bund anschloss (INSIDE 912). Von der Götterdämmerung bleiben auch Brunnen nicht verschont; bei manchen waren nur stille Wässer wirklich tief. Brunnen mit eigenem Zugang zu Kohlensäure – wie Gerolsteiner – sahen die Sache entspannt.
Unter diesen Umständen bekamen plötzlich auch kleinere CO2-Rückgewinnungsanlagen wie jene Aufwind, die von der Apparatebau Nordhausen vertrieben wird. Solche Anlagen konterkarieren beim derzeitigen CO2-Preis die bisherige Auffassung, dass sich Rückgewinnung erst ab 200.000 bis 300.000 hl Bier Jahresproduktion rechnet. Delikater Nebeneffekt: Auch das Reinheitsgebot wird in diesem Zusammenhang wieder neu gelesen. Eine Klage der Münchner Wettbewerbszentrale gegen Neuschwansteiner (wegen mutmaßlicher, am Ende aber nicht zweifelsfrei nachgewiesener Verwendung von technischer Kohlensäure – INSIDE 829) scheiterte im Sommer 2019 zwar vor dem OLG München, kerbte aber manch Furche auf die Brauerstirn.
Nicht nur von Seiten des CO2-Lieferanten Westfalen AG (der Anfang September seine Kunden über drohende Lieferprobleme informierte) heißt es jetzt: Der Bedarf in der Getränkeindustrie sei gerade saisonal bedingt etwas geringer, das gelte auch für andere Branchen; so verbrauchten Gewächshäuser jetzt weniger CO2 als noch vor wenigen Wochen. Der CO2-Industrie fehlten aber immer noch rund 50% der Produktionskapazitäten in Westeuropa, die Versorgung bleibe schwierig. Eine nachhaltige Entspannung könne nur durch die Wiederaufnahme eines Großteils der Ammoniakproduktion erreicht werden (derzeit unwahrscheinlich, jedenfalls für Deutschland) oder durch Kompensation durch alternative CO2-Quellen. Nur: durch welche? INSIDER berichten, dass Lieferanten von CO2 aus Biogas-Anlagen oder Erdspeichern ihre Kundenlisten geschlossen haben. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wiederum scheiterte bislang mit einem eigenwilligen Vorstoß in Richtung Zementwerke (siehe unten).
Widerstand gegen Wucherpreise
Mit Wirtshaustischen kennt Aiwanger sich aus; an einen solchen Tisch, ob im Hauptraum oder im Nebenzimmer, passen die wenigen relevanten CO2-Kumpel, die zuletzt auch mal gern mit Verweis auf Force Majeure Verträge gekündigt haben. Gegen dieses Vorgehen regt sich zunehmend Widerstand; Anwälte werden nicht müde, ihren Klienten die exakte Prüfung ihrer CO2-Verträge zu empfehlen – mit Blick auf Preisfestlegungen. Seltsamerweise funktionierte die Belieferung mit CO2-Mengen, die zuvor mit Verweis auf Force Majeure, also auf höhere Gewalt und Nichtverfügbarkeit, gekündigt worden war, bei neuem Preisbild in vielen Fällen wieder ausgezeichnet. Viele Brauer und Brunnen zahlen inzwischen ein Vielfaches jener 100 Euro, die eine Tonne CO2 zuvor kostete. Hier regt sich mittlerweile Widerstand; gut möglich, dass die Geschichte juristisch erst richtig ins Rollen kommt.
Die aktuelle leichte Entspannung beim CO2 mag damit zu tun haben; am Ende ist sie auch nur eine temporäre Melange aus weniger Nachfrage (im Herbst wird weniger produziert, zudem behelfen sich Betriebe mit Mitteln wie Stickstoff für technische Prozesse), weniger Nachfrage aus anderen Branchen (z.B. Pharmazie), ausgeweiteten Lieferketten (u.a. aus den USA) und plötzlich aufgetauchten, verschollen geglaubten CO2-Blasen irgendwo in den Händler-Depots. Verlass ist darauf lieber nicht.
Zementwerke (noch) nicht die Lösung
Zementwerke als Retter vor CO2-Knapppheit in der Getränkebranche – was ist aus dieser Idee von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (INSIDE 911), Freie Wähler, eigentlich geworden? Bisher wenig, wie Aiwangers Ministerium zugibt.
In Rohrdorf, Landkreis Rosenheim, ist zwar seit Mitte September Deutschlands erste CO2-Rückgewinnungsanlage in der Zementindustrie in Betrieb. Vorerst bringen der Getränkebranche die täglich gewonnenen zwei Tonnen pro Tag aber nichts – sie werden in Druckbehältern aufbewahrt. Denn: Bisher ist die Lebensmitteltauglichkeit des rückgewonnenen CO2 nicht nachgewiesen, es stehen verschiedene Tests an, darunter Geschmacksanalysen, wie das Wirtschaftsministerium mitteilt.
Sollte das Gas grundsätzlich geeignet sein, gibt es weitere Hürden. Für die Rückgewinnung wird nämlich sehr viel Energie benötigt. Sie wiederum ist nur dann nachhaltig, wenn sie aus erneuerbaren Quellen stammt. Hier erhofft sich das Rohrdorfer Zementwerk Unterstützung aus der Politik – die dreifache Menge an Erneuerbaren sei nötig.
Wäre dieses Problem gelöst, wartet gleich das nächste: Der Transport des CO2 ist aufwendig, erfordert eine entsprechende Infrastruktur. Aiwangers Vorstoß war somit nicht völlig abwegig – eine kurzfristige Hilfe für Brunnen, Brauereien und Co ist er aber auch nicht. Es dürfte Jahre dauern, bis auf diese Art eine nennenswerte Menge an technischer Kohlensäure generiert werden kann – wenn überhaupt.
Artikel aus INSIDE 913