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#914

Lebensmittelverband, VDM: Lobby sucht Form

Lobby-Zoff um Zuckerstrategie

Die Bundesregierung bereitet drastische Maßnahmen vor, um den Zuckerkonsum zu senken. Ein breites Bündnis von Kinderhilfswerk bis Foodwatch unterstützt das mit einem öffentlichen Appell und erhöht den Druck. Gerade jezt zieht sich der größte Lobbyverband der Industrie beleidigt zurück. Die Getränkebranche steht alleine da.

Zuckersteuer, Werbeverbote und Co: Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung könnte eine bittere Pille für die Industrie werden. Und wer sitzt bei den Beratungen nicht mit am Tisch? Das größte Organ der Branche – der Lebensmittelverband (Mitglieder sind unter anderem die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke Wafg, der Deutsche Brauer-Bund und der VDM). Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff ist ausgestiegen und erklärt gegenüber INSIDE: „Es geht uns um das Verfahren als solches, nicht um inhaltliche Diskussionen. Im Gegenteil, wir wollen ja über Inhalte diskutieren können! Aber wie, wenn die Expertise bestimmter Wirtschaftszweige nicht gefragt ist und deren Fachverbände gar nicht erst zum Dialogforum eingeladen wurden?“

Es scheint aber nicht nur zwischen dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und dem Lebensmittelverband zu knirschen. Offenbar sind zahlreiche Mitglieder verärgert über Minhoffs beleidigten Ausstieg. Die Wafg (in der neben Coca-Cola und PepsiCo auch Vilsa, Gerolsteiner und Co organisiert sind) will jetzt ohne Minhoff am Ball bleiben und nimmt laut Hauptgeschäftsführer Detlef Groß „die vom BMEL angebotenen Formate zur Erarbeitung einer Ernährungsstrategie der Bundesregierung wahr“.

Und auch der Deutsche Brauer-Bund genießt bislang den Ruf, die Diplomatie höher zu halten als den Affront. Auch eine Sprecherin des Bundesministeriums kann den Rückzug des Lebensmittelverbands nicht nachvollziehen, schließlich hätten zuletzt 160 Teilnehmer bei einer Veranstaltung des Ministeriums über die Ernährungsstrategie, die 2023 stehen soll, diskutiert – „darunter auch viele Vertretungen aus der Ernährungswirtschaft“. Die Getränkebranche hat für Eitelkeiten keine Zeit. Zuviel steht auf dem Spiel.

Die Ziele des Ministeriums sind klar: Förderung einer gesünderen, ressourcenschonenden und pflanzenbasierten Ernährung. Auf der Abschussliste: Zucker, wichtigster Grundstoff der 118,4 Liter Erfrischungsgetränke pro Kopf im Jahr 2021. Zwar steigt der Anteil von kalorienreduzierten Getränken – er liegt jedoch nur bei 15,6%. Im Raum stehen eine Zuckersteuer und Werbeverbote für Kinder und Jugendliche. Druck macht diese Woche ein breites Bündnis aus u.a. AOK, Deutschem Kinderhilfswerk, Foodwatch, Ärzteverbänden und Koch-Promis wie Sarah Wiener und Jamie Oliver in einem Appell an die Bundesregierung. Ihre Forderung: keine „Werbebeschränkung light“, sondern keine TV-Werbung für Ungesundes zwischen 6 und 23 Uhr sowie nur Werbung für gesunde Lebensmittel durch Influencer. Was auch immer „gesund“ sein mag.

Sowohl der Lebensmittelverband als auch die wafg lehnen diese Instrumente ab. Sie verweisen auf ihre „ambitionierten“ Selbstverpflichtungen. Die wafg möchte zwischen 2015 und 2025 eine Zucker- und Kalorienreduktion im Segment Erfrischungsgetränke von 15% erreichen (was angesichts verdoppelter Zuckerpreise freilich auch ökonomisch Sinn macht). Für das Ministerium aber sind Selbstverpflichtungserklärungen „anders gelagert und nicht vergleichbar“. Kurzum: Mit ihnen will sich die Politik nicht zufriedengeben. Südzucker als größter Zuckerproduzent Europas lässt wissen: Der Fokus auf einen Nährstoff allein sei nicht zielführend, es gehe um die Gesamtbilanz. Immerhin gibt sich das Unternehmen offen: „Wir setzen uns dafür ein, dass Kalorien (pro 100g/100ml) prominent auf Lebensmittelverpackungen gezeigt werden.“

Die wafg sieht sich zu Unrecht im Kreuzfeuer: Laut der vom Ministerium beauftragten Nationalen Verzehrsstudie tragen Limonaden nur zwei Prozent zur Gesamtkalorienzufuhr bei, so der Verband. Außerdem zieht die Wafg eine Verbesserung des Übergewichts- oder gar des Gesundheitsstatus von Menschen in Ländern, die Sondersteuern eingeführt haben, in Zweifel. Es fehlten valide Studien zur Wirksamkeit von Werbeverboten oder Zusatzsteuern.

Artikel aus INSIDE 914