Noch kein INSIDER?

JETZT ZUGANG SICHERN!

Wählen Sie Ihre Anmeldeoption.

Schnell und unkompliziert INSIDER werden!

Weiter

Print-Ausgabe

#910

Coca-Cola im Ring: Fightclub Edeka

Ernte, Gas, Kartell: Zuckerindustrie in der Krise

800 Euro pro Tonne Zucker, ein Plus von 100 Prozent: Die Kostenexplosion in der Branche macht vor den Erfrischungsgetränken nicht Halt, wie dieses aktuelle und laut INSIDERN durchaus repräsentative Beispiel eines AfG-Herstellers zeigt. Pro Kiste bedeutet allein dieser Zuckerschock 50 bis 70 Cent mehr Kosten. Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) und der Verein Deutscher Zuckertechniker (VDZ) begründen den enormen Preisanstieg mit einem durch ausbleibende Niederschläge eingebrochenen Ertrag (4,073 Mio Tonnen sind 5,2 Prozent weniger als im Vorjahr) sowie den deutlich gestiegenen Kosten für Energie durch den (drohenden) Gasmangel.

Aufgrund der angespannten Lage erlaubte das Bundeskartellamt dieser Tage, befristet bis Juni 2023, den Produzenten Nordzucker, Südzucker, Pfeifer & Langen und Cosun Beet eine Kooperation, bei der sie sich im Worst Case gegenseitig Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen dürften, um die Verarbeitung von Zuckerrüben zu sichern. So sollen auch weitere Preissteigerungen abgewendet werden. Die Behörde betont aber: Ein Zurück in Zeiten des Zuckerkartells darf es nicht geben.

Die unrühmliche Episode ist für die Hersteller nach wie vor nicht ausgestanden und könnte im Hintergrund ein weiterer Preistreiber sein. Nach Bußgeldern von 280 Mio Euro, die das Bundeskartellamt 2014 gegen Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen verhängt hatte, laufen seit 2015 Schadensersatzklagen vonseiten der Industrie. Insgesamt geht es in verschiedenen Verfahren (Mannheim, Düsseldorf, Köln, Hannover) um Zahlungen von rund einer Milliarde Euro an die geschädigten Kunden. Aus der Getränkebranche klagen unter anderem PepsiCo, Krombacher/Schweppes und Danone.

Die Kanzlei SGP Legal vertritt in Mannheim 19 Geschädigte, darunter zwölf aus der Getränkeindustrie, mit einer geforderten Summe von 60 Mio Euro. Während die Hersteller betonen, zwischen 1996 und 2014 sei ein „Null-Schaden“ entstanden, kommt der Gutachter Prof. Dr. Justus Haucap zu dem Ergebnis, es habe kartellbedingte Preiserhöhungen von 7,5 bis 10,6 Prozent gegeben. Derzeit läuft die Diskussion über diese Zahlen. SGP-Anwalt János Morlin stellt klar: Wenn sie vom Gericht anerkannt werden, folgen Einzelfallprüfungen für die einzelnen Geschädigten, in denen es unter anderem darum gehen würde, inwiefern sie Kartellschäden an ihre Kunden weitergegeben haben.

Druck auf die Zuckerindustrie macht gleichzeitig auch die Politik. Zwar ist eine Zuckersteuer fürs Erste wohl vom Tisch, das Ziel der Bundesregierung bleibt aber (wenn auch noch nicht in ein Konzept gegossen) klar: weniger Zucker, vor allem für Kinder. Eine geplante Maßnahme ist ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel in Medienformaten, die sich an unter 14-Jährige richten. Die Ernährungsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bleibt sonst vage, soll aber 2023 stehen. INSIDER halten es für zu früh, um die genauen Folgen für die Getränkebranche abzuschätzen. Beim Werbeverbot komme es darauf an, es sachgerecht umzusetzen – Details sind noch nicht bekannt.

Noch zeigt sich der Markt für Erfrischungsgetränke recht stabil: Laut Statistischem Bundesamt konsumierten die Verbraucher 2021 pro Kopf 118,4 Liter (Plus 3,2 Prozent, wenn auch unter 2019er-Niveau), der Anteil an kalorienreduzierten oder -freien Getränken stieg dabei auf 15,6 Prozent (18,5 Liter). Dazu zählen nach Definition des Statistischen Bundesamts Getränke mit mindestens 30 Prozent weniger Energie als bei vergleichbaren Produkten.

Das vor wenigen Jahren als Wundermittel zur Kalorienreduzierung gefeierte Süßungsmittel Stevia (stammt aus der in Lateinamerika seit Jahrhunderten bekannten Stevia-Pflanze), das in Reinform nahezu null Kalorien aufweist, spielt dabei jedoch kaum noch eine Rolle. Offenbar gelang es der Industrie nicht, den bitteren Nachgeschmack zu entfernen. Ein INSIDER nennt diesen Geschmack „hart“. Coca-Cola scheiterte sowohl mit der Variante Life als auch mit Stevia No Sugar krachend (siehe Kasten S. 11). So geht die Suche nach dem besten Süßungsmittel bei den Herstellern auf Hochdruck weiter, derzeit dominieren Acesulfam K und Natriumcyclamat. Eine gute Nachricht für die Industrie: Süßstoffe kosten, anders als Zucker, heute laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 2,3 Prozent weniger als noch vor einem Jahr.

Artikel aus INSIDE 910