Ohne Füße kann der schönste Kopf nicht wackeln – schon gar nicht bei Unternehmen im Dienstleistungsbereich und mit hohem Lager- und Logistik-Anteil. Wer zu spät kommt (oder in der Corona entspannten Phase zu lange gepokert hat), den ereilt der Mangel bei LKW-Fahrern und bei Gastronomie-Personal mit voller Wucht. Gegensteuern lässt sich nur noch homöopathisch. Wie also jetzt noch gute Leute finden? Oder zumindest die verbliebenen Mitarbeiter an Bord halten?
Für den Bereich der Führungskräfte senden HR-Berater und Headhunter zwar noch immer unverdrossen positive Signale. Er sei „zuversichtlich“, dass kleine und mittelständische Unternehmen für Führungskräfte interessant bleiben, wenn sie sich der Modernisierung stellten, gab z.B. Erich Schneider von Schneider Executives gegenüber INSIDE Future (Ausgabe vom 23. September) zu Papier. Allerdings werden Personalberater (bislang) eher nicht eingeschaltet, wenn es um Basisjobs geht. Möglicherweise aber bald die Feuerwehr – es brennt an allen Ecken und Enden.
Laut einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) fehlten im September 2021 in Deutschland 6.659 LkW-Fahrer. Bei „stark steigender Tendenz“ gravierend mehr als noch 2020. Zudem könnten sich, heißt es beim IW, „Migrationsströme jederzeit umkehren“.
Doch das Institut meldet nur die Spitze des Eisbergs. Die Zahl 6.659 hat zwei Schönheitsfehler: Sie bezeichnet lediglich den Gap zwischen offenen Stellen (25.638) und arbeitslos gemeldeten LkW-Fahrern (18.979) – und auch nur die Zahl der offenen Stellen, die der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wurden. Deutlich angespannter sieht man die Lage indes beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Hier taxiert man den ungedeckten Bedarf an Berufskraftfahrern auf mittlerweile wieder 60.000 bis 80.000 – Tendenz steigend. Die Differenz zu den Zahlen des IW erklärt sich auch dadurch, dass viele Firmen ihre offenen Stellen gar nicht an das Arbeitsamt weitergeleitet haben wollen: „Sie glauben nicht, was da zum Teil vermittelt wird“, sagte ein Unternehmer gegenüber INSIDE. Beim BGL wiederum wird das Schreckensszenario britischer Verhältnisse ausgepackt. Wenn weiterhin 30.000 Fahrer jährlich in Rente gingen, aber nur 15.000 neue dazu kämen, drohe in drei Jahren der Kollaps.
Auch in der nüchternen Bilanz des IW wird angemahnt, die Bedeutung der 620.000 Berufskraftfahrer im Güterverkehr (eine der größten Berufsgruppe überhaupt) endlich wahrzunehmen: „Ohne diese Menschen funktioniert die moderne arbeitsteilige Wirtschaft mit ihren verzweigten Lieferketten nicht,“ heißt es dort; es müsse „sichergestellt werden, dass es künftig genügend von ihnen gibt. Sonst könnten auch bei uns Zustände wie aktuell in Großbritannien drohen“.
Gegensteuern! Bloß: wie?
Die Botschaft ist längst angekommen, allein was tun? Das Statistische Bundesamt beziffert das aktuelle Durchschnittsgehalt eines LKW-Fahrers mit 2.623 Euro brutto – und damit gut 660 Euro unter dem Durchschnittseinkommen von Beschäftigten mit vergleichbarer Ausbildung in der Wirtschaft insgesamt. 2019 betrug der durchschnittliche Lohn für Berufskraftfahrer im Güterverkehr laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit 2.556 Euro. Demnach teilte dieser Brutto-Monatslohn die sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigten LKW-Fahrer in zwei gleichgroße Gruppen auf - eine Hälfte verdiente mehr, die andere weniger. Bei einer 40-Stunden-Woche entspräche das 14,75 Euro Stundenlohn. Es wurde bereits nachgelegt: Zwischen 2013 und 2019 stiegen die Fahrer-Löhne um 13,4 Prozent.
In der Getränkelogistik werden freilich deutlich höhere Gehälter bezahlt – nicht selten als eine Art Schmerzensgeld für Abladen/Aufladen und aufwändigen Kundenverkehr. Fachgroßhändler wiisen ein Lied davon zu singen, wie schwer es ist, Kraftfahrer für ihre Dienstleistungen zu finden. Sie müssen eben nicht nur fahren, sondern auch stapeln und schleppen – mitunter zu Unzeiten.
Inzwischen hat der BGL einen „Aktionsplan Fahrermangel“ gestartet, der auf eine Verbesserung des Image, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, einen Bürokratieabbau und die Digitalisierung der Ausbildung abzielt – in etwa analog zum Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, das ebenfalls politischen Handlungsbedarf erkannt hat. Man müsse dringend die „Jobattraktivität“ erhöhen, heißt es in einem im Februar 2020 – also knapp vor Beginn der Corona-Krise – veröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats. Am Ende, das wird darin deutlich, liegt der Ball wieder bei jedem einzelnen Arbeitgeber.
„Wie läuft es bei Ihnen?“, haben wir Händler mit eigenem Fuhrpark gefragt. Stimmt die Mannschaftsaufstellung? Müssen Sie in puncto LKW-Fahrer am Transfermarkt tätig werden – und wenn ja: Zu welchen Konditionen? Oder übersetzt: Wann wechselt der Spieler den Verein – und wann bleibt er?
Paul Anderl: Wohnungen für die Mitarbeiter Stammplatz:
Wir beschäftigen derzeit gesamt knapp 30 Fahrer – und haben aktuell sieben offene Stellen. Die Basis für alles bildet unsere sehr gute Unternehmenskultur, denn jeder Mensch, egal wo er herkommt, erwartet einen respektvollen Umgang miteinander. Unsere Bezahlung ist zudem übertariflich. Weiterhin haben wir vor vielen Jahren schon in Mitarbeiterwohnungen investiert, da wir gerade im Großraum München einen Engpass im Bereich Wohnraum haben. Unsere LKW-Fahrer haben dazu ein Mitspracherecht bei der Ausstattung ihrer LKWs.
Transfermarkt:
Der wichtigste Faktor ist in der Akquise für uns ist die Mundpropaganda, denn ein guter Ruf als Arbeitgeber ist „unbezahlbar“. Bestehende Mitarbeiter werben oft im Familien- oder Freundeskreis an und erhalten dann auch eine Prämie. Darüber hinaus arbeiten wir mit Vermittlungsagenturen zusammen, welche Personal aus dem Ausland an uns vermitteln. Durch unsere Mitarbeiterwohnungen können wir somit schnell Personal akquirieren und unsere Mitarbeiter an uns binden.
Saisonverlauf:
Zunächst einmal fand eine kurzfristige Entspannung zu Beginn der Pandemie statt. Aktuell jedoch verschärft sich die Thematik zunehmend und die aktuelle Lage ist angespannter denn je. Ich glaube, dass es in den kommenden Monaten und Jahren zu einem noch größeren Engpass im Bereich Fahrer kommen wird. Am Ende wird es ein Wettbewerb der Betriebe, wer Fahrer hat und somit sein Geschäft betreiben kann und wer eben nicht. Unser tägliches Ziel ist es, die Warenversorgung unserer Kunden zu 100% sicherzustellen, daher sehe ich persönlich das Thema „Personal“ als absolutes Prio 1-Thema und sehe aktuell unser Haus für die Zukunft sehr gut aufgestellt.
Michael Stadlmann: Zusätzliches Recruiting-Personal
Stammplatz:
Wir haben ca. 370 Fahrer in unserer Firmengruppe beschäftigt. Damit ist unser Bedarf an Fahrern noch nicht gedeckt.
Transfermarkt:
Wir fahren derzeit zahlreiche Maßnahmen, um unseren Fahrerbestand weiter auszubauen. Unter anderem akquirieren wir Fahrer im Ausland, erhöhen die Attraktivität des Jobs intern und haben zusätzliches Personal eingestellt, dass sich ausschließlich mit dem Recruiting im gewerblichen Bereich beschäftigt.
Saisonverlauf:
Wir gehen davon aus, dass sich der Fahrermangel in den kommenden Jahren auch weiter verschärfen wird, weshalb wir auch jetzt bereits mit zahlreichen Maßnahmen diesem Trend entgegenwirken.
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