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#948

Die Burn-Rate der Bestellplattformen

Wann liefern die Bestellplattformen?

Den Anruf mitten in der Nacht vom Gastronom auf den Anrufbeantworter, die Mail oder gar das Fax erhalten Lieferanten auch heute noch. Aber sie werden immerhin weniger. Die digitalen Bestellplattformen von Choco, Gas­tivo, Octopus und Kollex kommen voran. Freilich viel langsamer, als es ihre Mütter und Kapitalgeber geplant hatten. Die Marktführung reklamieren auf ihre Weise alle Unternehmen für sich. Nach welchen Kriterien sich dieser Anspruch richtet, bleibt dabei allerdings im Trüben. Wie ist es also wirklich um die Performance der vier etablierten Player bestellt?

 

Choco

Das mit vielen Investorenmillionen aufgepumpte Berliner Technologieunternehmen Choco Communications ist in sieben Ländern aktiv. Choco baut seine gesamte Technologie zu 100% inhouse und zu 100% in Berlin. Um den deutschen Vertrieb und die globale Softwareentwicklung künftig klar voneinander abzugrenzen, wurde im vergangenen Sommer die Choco Communications DACH GmbH gegründet. So hat nun jedes Land seine eigene Ländergesellschaft und die ursprüngliche Choco Communications GmbH fungiert explizit nur noch als gemeinsame Muttergesellschaft, mit der die Verträge für die Nutzung der Software geschlossen werden. Mit einem globalen Team von 400 Mitarbeitern sieht sich das Unternehmen als weltweit führender Anbieter der Digitalisierung von Lieferketten in der Lebensmittel- und Getränkebranche. Das Bestelltool sei nur einer von vielen Bausteinen, die Choco für Händler und Gastronomen entwickele.

Für den deutschen Markt hielt sich Choco bislang bedeckt. Gegenüber INSIDE hat CEO Daniel Khachab nun erstmals tiefere Einblicke gegeben. Demnach werden derzeit pro Monat 500.000 Bestellungen (im Food-Bereich wird teilweise öfters am Tag bestellt) von über 22.000 Gastronomen in Deutschland und Österreich über Choco abgewickelt. Das Warenangebot stammt laut Choco von über 4.000 Lieferanten, wovon etwa 20% dem GFGH zuzuordnen seien. Laut INSIDERN knapst Choco gut 2% des Warenwerts als Gebühr vom Händler ab. Das jährliche Bestellvolumen beziffert Khachab auf über 1,5 Mrd Euro. Noch in diesem Jahr will Choco über 25 Mio Euro in Künstliche Intelligenz investieren, an deren Entwicklung die Berliner bereits seit 2022 arbeiten. Man verfüge, so heißt es ganz unbescheiden, über das größte und erfahrenste KI-Team der Handelsbranche. Die Einführung von Choco KI im vergangenen Herbst sieht Khachab als Meilenstein für das Unternehmen. Die KI ermögliche es Lieferanten, Voicemails, Anrufbeantworter-Nachrichten, E-Mails, SMS und WhatsApp-Bestellungen in Sekunden zu verarbeiten, ohne diese manuell ins System eingeben zu müssen. Die Genauigkeitsrate, die die KI beim Bestelleingang erzielt, liege bei 100%. Auf diese Weise, so sendet Choco, sei es für Händler möglich, einhundertmal mehr Bestellungen zu verarbeiten. Bei Fachgroßhändlern genießt Choco dennoch wenig Vertrauen. Sie fürchten, dass ihnen mittelfristig der Kontakt zu den Wirten verloren gehen könnte.


Gastivo

Die Bestellplattform aus dem Hause Team Beverage wird mit zweistelligen Millionenbeträgen angeschoben. Auch im vergangenen Jahr haben die Gesellschafter (Transgourmet und Oetker) bei Team Beverage Bilanzverluste zu beklagen gehabt. Operativ immerhin soll die Bremer Getränke-Drehscheibe  zuletzt in die schwarzen Zahlen zurückgekehrt sein. Jedoch müssen weiterhin immaterielle Werte abgeschrieben werden, die zuvor hochgejazzt wurden. Und auch Gastivo kommt in die Gänge. Der zurückliegende März ist mit 300 Neukunden nach eigenen Angaben der stärkste Akquisemonat seit Gründung 2018 gewesen. Insgesamt spricht Gastivo von 9.000 bestellenden Kunden und einem Umsatz von 240 Mio Euro. Eine Schnittstelle zur Plattform hätten mittlerweile 70 GFGHs, die INSIDERN zufolge rund 2% des Bestellwerts abdrücken müssen. Die Fachgroßhändler stammen dabei nicht nur aus dem Kreis von Team Beverage (wo sich mit Gottschall-Bochum aktuell der 66. GFGH angeschlossen hat), sondern auch von GFGHs aus anderen Verbundgruppen. Viele Verleger arbeiten mit mehreren Tools. Insgesamt beschäftigt Gastivo 40 Leute, davon sieben im Außendienst. Der war zwischenzeitlich mal eingespart worden (wie aktuell auch bei Kollex, s.u.), was intern aber schnell als Fehler erkannt und revidiert wurde. Die Bestelltreue der Wirte ist laut Team Beverage-Vorstand Dr. Thomas Spiegel hoch. Und so ließen sich punktgenaue Zielgruppen definieren, die mit maßgeschneiderten Aktionen bezirzt werden könnten. Spiegel hat ein Beispiel parat: Bei einer Hendrick‘s Gin-Aktion seien die Bestellungen von normal 1.000 auf 3.000 gesprungen. Auch hätten 200 Wirte bestellt, die Hendrick‘s zuvor nicht im Sortiment gehabt hätten.


Kollex

Der Ruf nach ROI wird offenbar lauter. Erst kürzlich warf die Plattform, die zu je 20% den Gesellschaftern CCEP, Krombacher, Bitburger, Rotkäppchen-Mumm und Chefs Culinar gehört, ihren dreiköpfigen Außendienst raus. Kollex-CEO Stefan Kellner begründet das damit, dass die Kollex-App durch den Außendienst der Gesellschafter ausreichend Support erhalte. Im Gegensatz dazu wurden im vergangenen Jahr Kapazitäten im Innendienst aufgebaut, der sich in einem vierköpfigen Team vorrangig um die Aktivierung der Kunden (10.800 Gastronomen) kümmert und bei den ersten Bestellungen Hilfestellung leistet. Zusätzlich wurde das KAM-Team, das mit den bislang 222 angebundenen GFGHs arbeitet und beim Onboarding der Kunden unterstützt, auf vier Leute verdoppelt. Der telefonische Support, so Kellner, sei effektiver als ein eigener Außendienst auf der Straße. Die Fehlerbehebung wird von einem Customer Support Team übernommen.

Insgesamt sind bei Kollex 70 Mitarbeiter angestellt. Pro Monat verbucht die Plattform, die größtenteils inhouse entwickelt wird, etwa 33.000 Bestellungen, 90% davon Getränke; einen Bestellumsatz erfasst Kollex eigenen Angaben zufolge nicht. Im vergangenen Jahr wurde wie in den beiden Jahren zuvor ein Verlust von etwa 5 Mio Euro eingefahren. Um die in der Basisversion für Händler und Gastronomen kostenfreie Lösung unter die Leute zu bringen konzentriert sich Kellner auf Vertrieb und Marketing.  Der CEO räumt auch ein, dass alle Gesellschafter sich einen schnelleren Fortschritt erhoffen. Die engere Zusammenarbeit der einzelnen Außendienste habe Wirkung gezeigt. In den ersten Monaten des Jahres seien mehr Neukunden und Reaktivierungen geschafft worden als zuvor. Um das Tool den Händlern schmackhafter zu machen, wurden neue Features wie Liefertagsauswahl, Abholung und Chatfunktion implementiert. Künftig will Kollex den Food-Bereich mehr bespielen, damit Wirte möglichst nur noch eine App nutzen. Gleichwohl ist Chefs Culinar auch weiterhin mit einer eigenen Lösung unterwegs.


Octopus

Die GES hält über ihre MBV Mittelständische Beteiligungs- und Vertriebsgesellschaft 100% an der Octopus-Entwicklerfirma Order Systems, Frankfurt. Naturgemäß sehen die Nürnberger Octopus als die einzig wahre neutrale und industrieunabhängige Plattform. Zumindest diesen Punkt will Choco den Franken streitig machen. Nach eigenen Angaben arbeitet Octopus mit nur wenigen Entwicklern und ist technisch auf dem neuesten Stand. Einen eigenen Vertrieb setzt die GES für Octopus nicht ein. In den Augen der GES ist es sinnvoller, wenn dies über den GFGH geschieht. Bis dato hat Order Systems 184 GFGHs (teils auch in Belgien und Österreich) per Schnittstelle angebunden, die regelmäßig Bestellungen von über 13.000 Gastronomen entgegennehmen. Für 2023 nennt die GES 230.000 Bestellungen, ein Plus von 28% zum Vorjahr.

Für 2024 wird intern mit etwa 280.000 Bestellungen gerechnet. GES-Vorstand Holger von Dorn sieht die Plattform dafür auf einem guten Weg. Bereits im ersten Quartal 2024 seien pro Monat 3.000 Bestellungen mehr eingegangen. Wie in der Vergangenheit auch müssen Lieferanten abhängig von der Anzahl der Bestellungen 29 bis 99 Cent pro Order zahlen. GES-Mitglieder erhalten 10% Rabatt. Der jährliche Bestellumsatz (nur Getränke) beläuft sich derzeit auf 130 Mio Euro. Der durchschnittliche Warenkorb liegt bei 500 Euro reiner Getränkeumsatz. In diesem Punkt reklamiert die GES die Marktführerschaft für sich.      

 

Artikel aus Heft 948