Seit Montag dieser Woche lässt Russland offiziell nur noch Getränke ins Land, die mit einem individuellen Code bedruckt sind. Vor Millionen schweren Investitionen scheuen die meisten Hersteller zurück. Schon jetzt ist klar: Es wird eine Marktbereinigung gigantischen Ausmaßes geben – auch weil die Russen Schwarzmarkt und dubiose Lieferwege über Drittstaaten trockenlegen.
Immerhin liegt der Preis noch dort, wie ihn INSIDE bei einem ersten Bericht 2022 (Ausgabe 894) verortet hat: 0,5 Rubel, nach heutigem Wechselkurs etwa 0,5 Cent. So viel kostet ein in Russland bestellter, individueller digitaler Code für ein einzelnes Produkt, das ein deutscher Hersteller künftig nach Russland exportieren will – egal ob Auto, Radioelektronenmikroskop, Gasturbine. Oder eben: für eine Bierdose. Exportiert eine Brauerei 500.000 hl in 0,5 Liter-Bierdosen, zahlt sie allein für die Codes eine halbe Million Euro pro Jahr – vorausgesetzt, sie hat vorher ein weitere Million Euro (oder mehr) in die entsprechende Soft- und Hardware investiert.
Leute vom Fach prophezeihen mit Blick auf die Folgen des von Russland installierten Chestny Znak-Systems schon lange eine „Marktbereinigung“ bei Exporteuren. Die Investitionen sind beträchtlich, viele Marktteilnehmer dürften aussteigen. Diverse Systemhäuser haben seit 2018 Unternehmen aus der Pharma-, Tabak- und Milchbranche Softwarelösungen bei der Umstellung auf Chestny Znak-Codes betreut. Jetzt liegt ihr Fokus auf Unternehmen der Getränkebranche. Dort lief Anfang dieser Woche die seit mindestens zwei Jahren kommunizierte Frist zur Kennzeichnung aller nach Russland exportierten Produkte aus.
Zentrales Durchführungsorgan des Code-Verwalters Chestny Znak ist das Zentrum zur Entwicklung aussichtsreicher Technologien (CRPT). Es gehört laut German Trade&Invest (GTAI) zu 50 Prozent der USM-Holding des Oligarchen Alischer Usmanow sowie zu jeweils 25 Prozent der Staatsholding Rostec und dem IT- und Telekommunikationsunternehmen Elvis-Plus Group. Ein einträgliches System – und eines, das womöglich anderen Staaten als Blaupause dient. Aus Kasachstan weden ähnliche Vorgaben erwartet, auch europäische Länder sollen Gefallen an der Einführung von Track&Trace-Systemen gefunden haben. Die deutschen Brauer hingegen, soweit sie noch nach Russland exportieren (in diesem Jahr immerhin noch rund 1,5 Mio hl nach knapp 2 Mio hl in 2021), stolperten ähnlich unvorbereitet in den Chestny Znak-Stichtag 15. Januar 2023 wie manche Kollegen in den Nullerjahren in die Einführung des Einwegpfandes. Selbst die Exportprofis von TCB/Feldschlösschen sollen bis dato noch über keine funtionierende Znak-Maschine verfügen; Anfragen hierzu bleiben unbeantwortet. Von der Oettinger Gruppe wird kolportiert, sie habe eine solche Anlage immerhin schon bestellt. Es ist ein Verwirrspiel, bei dem nur eines klar ist: Die Russen, so ein Experte gegenüber INSIDE, „kennen keine Gnade“.
Deutsche Exporteure können nur über russische Firmenbeteiligungen oder Importeure (beispielsweise ein Handelshaus wie Magnit) Chestny Znak-Codes bestellen. Diese enthalten neben den handelsüblichen Global Trade Item Number (GTIN) eine einmalige Seriennummer und nur in Russland selbst dechiffrierbaren vierstelligen Prüfcode (Crypto-Code). Der russische Zoll kann jederzeit Stichproben nehmen; Hersteller müssen sämtliche Produktdaten vorher dorthin, also an den russischen Staat, übermittelt haben. Hierzulande bieten Hardware-Häuser wie BBULL Technology in Königsbach-Stein Lasertechnik an, die auch bei gigantischen Dosenabfüll-Linien jede einzelne Dose individuell bedruckt. Wer allerdings jetzt erst bestellt, dürfte sich gedulden müssen: je nach Anforderung mindestens vier bis fünf Monate.
Es gibt womöglich noch eine Option für Exporteure: den russischen Zolllägern vorgelagerte Dienstleister entweder in Russland oder in benachbarten Staaten, die die Ware im Auftrag ihrer Importeure mit Codes bekleben. Der aufwand gilt aber als teuer und wenig zuverlässig; zudem dürfen Importeure nicht vermischt werden. So dürfen Crypto-Codes von Magnit nicht für Produkte verwendet werden, die an Importeur Megapolis geliefert werden.
Mit all den Restriktionen will Russland vor allem eines erreichen: Dass der Schwarzmarkt und damit auch Lieferwege über baltische Staaten, Polen, Tschechien und andere Anrainerstaaten austrocknet. Was das für Unternehmen bedeutet, die bislang kreative Wege in den russischen Markt fanden, kann sich jeder selbst ausrechnen. Unter Fachleuten kursiert jedenfalls die Anekdote, dass sich nach Einführung des Znak-Systems und des damit verbundenen Track&Trace-Systems die Zahl verkaufter Pelzmäntel in Russland verzehnfacht hat.
Artikel aus Heft 942