Die um 2010 aus den USA herübergeschwappte Welle produzierte mehr Schlagzeilen als Hektoliter. Die Hoffnungen der oft vollbärtigen, fast immer männlichen Craft-Fans erfüllten sich nicht. Und doch ist einiges geblieben, was vorher undenkbar schien: sehr hochpreisiges Bier, eine junge, punkige Bier-Attitüde, neue coole Regionalbrauereien und eine kleine, aber treue Verwenderschaft von (oft stark gehopften)neuen Bierstilen. INSIDE hat die sehr heterogene Top 12 nach Volumen zusammengefasst.
Störtebeker
Inhaber Jürgen Nordmann und sein kongenialer Vertriebschef Jürgen Neuhaus interpretierten Craft von Anfang an als Brauspezialität, die sie unter dem Störtebeker-Dach vermarkteten und heute einen beträchtlichen Teil der insgesamt rund 360.000 hl großen Brauerei ausmachen. In der INSIDE-Craft-Hitliste verzeichnet sind die Volumen von Atlantic Ale, dem stärksten Störtebeker-Artikel in Berlin/Brandenburg, dem stark wachsenden Atlantic Ale alkoholfrei, sowie das kleine Scotch Ale und Hanse Porter. Mit Kastenpreisen leicht über 20 Euro bewegt sich Störtebeker am unteren Rand des Segments.
Steam Brew/Eichbaum
2017 präsentierte die Mannheimer Eichbaum Brauerei auf der Anuga in Köln bei einem Kick-Off ihre exklusiv für Lidl hergestellte Dosen-Craft-Linie Steam Brew. Anfangs eher belächelt (und ob der Niedrigpreise um 89 Cent/0,5 Liter auch vom Wettbewerb verflucht) drehen die Mannheimer mit Steam (German Red, Imperial Stout, Imperial IPA) allein in Deutschland mittlerweile rund 43.000 hl. Ins Ausland (nur in Europa ist Steam an Lidl gekoppelt) gehen weitere 120.000 hl. Eine Erfolgsstory im Segment Commercial Craft Beer, die sich laut INSIDERN nicht mal 2023 ausbremsen ließ: + 6 % Wachstum bislang.
BrewDog Deutschland
Einst hatten die Amis von Stone Brewing mit ihrer Brauerei im Berliner Marienpark versucht, an allen Strukturen vorbei, dem deutschen Brau-Establishment zu zeigen, wo der Barthel den Hopfen holt. Alles Geschichte. Greg Koch flüchtete aus Deutschland. Anschließend enterte BrewDog das Areal. Die schottischen Punks sind nicht minder ambitioniert, gehen gerne eigene Wege. Aber im Gegensatz zu Stone haben sie sich dem deutschen Markt angepasst. Deutschland-CEO Adrian Klie, einst bei AB Inbev, versteht es, die richtigen Knöpfe zu drücken: BrewDog hat dauerhafte Listungen bei Aldi Süd (aktuell mit dem Pale Ale Hop Fiction), ist fix auf der Getränkekarte der Condor-Ferienflieger (Hellbier Ferien Lager) und zur neuen Bundesligasaison sogar mit King Kölsch, dem Kollaborationsbier mit Früh, in der VIP Loge von Bayer 04 Leverkusen. Hinzukommen eigene Gastronomieobjekte (Dog Taps) sowie eine Vertriebskooperation mit Warsteiner. BrewDog ist im ersten Halbjahr laut INSIDERN über Plan gewachsen, wird die 30.000 hl in Deutschland reißen. Zwei Drittel des Gesamtabsatzes davon sind Pale Ales und IPAs.
Maisel & Friends
Seit 2012 bespielt Jeff Maisel mit Maisel & Friends das Craftbier-Feld. Sein soeben in den Ruhestand gegangener Vertriebs-Gf Hermann-Josef Börger achtete auf eine nicht abgehobene Preisstellung. Das gelang mit den in 0,33er-MW gefüllten Sessionbieren, die zu Preisen von etwas über 1 Euro/Flasche die Regale eroberten. In der Gastronomie und auf der Fläche hilft die Vertriebspartnerschaft mit Veltins. Die Absatzentwicklung ist stabil, am stärksten wächst Pale Ale alkoholfrei. Mit der von Pale Ale und IPA geprägten Craftschiene macht Maisel gute 30.000 hl. Kaum eine Rolle spielt Maisel & Friends Hoppy Hell, das intern gegen Bayreuther Hell den Kürzeren zieht.
Brlo
Die Berliner Marke Brlo, 2014 von Katharina Kurz, Christian Laase und Michael Lembke gegründet, musste jüngst ihre nationalen LEH-Ambitionen aufgeben. Kaufland hat den Stecker gezogen. Zu teuer, zu lang in den Regalen, heißt es seitens Handels-INSIDERN. In der Region Berlin/Brandenburg ist Brlo weiterhin bei der Schwarz-Tochter zu finden sowie bei Rewe und Edeka. Auf ein nationales Geschäft muss Brlo trotzdem nicht verzichten. Flaschenpost liefert demnächst bundesweit nicht mehr nur die Mixkiste, sondern auch Brlo Hell und Happy Pils aus. In einem ohnehin schwierigen Umfeld gelingt es Brlo, das auf Craftbezeichnungen gerne verzichtet, zu wachsen. Waren es 2021 etwa 12.000 hl, so sind es aktuell rund 17.000 hl, die bis Jahresende nochmals ausgebaut werden sollen. Dabei soll vor allem der Wachstumstreiber Helles und das jährlich um etwa 35% wachsende Alkoholfreie Pale Ale naked helfen. In der Hauptstadt selbst ist Brlo ohnehin gut sichtbar: Am Berliner U-Bahnhof Gleisdreieck liegt die eigene Brauerei samt großem Biergarten, am Rosa-Luxemburg-Platz sowie im berühmten KaDeWe ist Brlo ebenfalls zu finden. In Charlottenburg eröffnet demnächst ein viertes Brlo-Gastro-Objekt.
Crew/Bitburger
Die seit letztem Jahr zu exakt 50,0016% zur Bitburger Braugruppe gehörende Crew Republic begann 2010 als Start-up und setzt bis heute auf die moderne, amerikanische Variante von Craft. Nach dem Hopfenhändler Barth & Sohn und einem zweijährigen Intermezzo von AB Inbev haben die Gründer Timm Schnigula und Mario Hanel mit Bitburger nun endlich einen aktiven Gesellschafter an die Seite bekommen. Dr. Jan Niewodniczanski ist Craft-Fan durch und durch. Exportchef Sebastian Ellies nimmt Crew überall mit, Handelschef Thomas Kröffges baut kräftig Distribution auf. Auch für das neue, laut INSIDERN von Bitburger hergestellte, Iron Maiden-Kooperationsbier Crew Trooper Progressive Lager.
Insel-Brauerei Rügen
Ein ganz eigenen Weg ging Markus Berberich. Die allgemeine Kaufzurückhaltung knappst derzeit an den ehedem vier Mio Flaschen Absatz, was die Rügener nicht davon abhält, in den (inter-) nationalen Außendienst zu investieren. Bei Preisen zwischen 3,50 und 4,50 Euro/0,33 l besetzen seine als „Seltene Biere“ deklarierten Produkte eine Nische. Den Handel beschickt die Insel-Brauerei zum Großteil direkt über Speditionen. Rund 20% der Absätze gehen in den Export (18 Länder).
Ratsherrn
Auch Oliver Nordmann gehört zu den Early Adopters der Craftbierwelle. Seine 2012 eröffnete Ratsherrn-Brauerei wurde auch nach amerikanischen Craft-Vorbildern errichtet. Für die angedockte Gastronomie „Altes Mädchen“ wurde ein nationaler Roll-Out durchgedacht. Und mit der Hamburg Beer Company wollte Nordmann einen nationalen Craftbiervertrieb auf die Beine stellen. Als sichtbar wurde, wie klein die Welle an den deutschen Strand plätschert, dachten die Ratsherrn-Gfs Oliver und sein Sohn Niklas Nordmann schnell um. Ratsherrn ist heute vor allem eine Regionalmarke, die den Großraum durchaus erfolgreich bespielt. Hamburger Pale Ale, Küsten-IPA, das Weizen-IPA Matrosenschluck, Dry Hopped Pilsener und Moby Wit stehen nur noch für 10% der rund 60.000 hl großen Brauerei.
Riegele
Ein Vorkämpfer für hochwertige Braukunst war Spezi-Bräu Sebastian Priller jun. schon bevor RadebergerBraufactum erfand. Im Jahr 2011 gewann als einer der ersten die Weltmeisterschaft der Bier-Sommeliers. Sein Augsburger Brauhaus Riegele passte die Spezialitätenlinie mehrmals an. Die 0,66er-Flasche wich der 0,33er. Stärkste Sorte ist heute IPA Liberis Alkoholfrei. Überzeugungstäter Priller ist mit den verbliebenen Hektolitern zufrieden. Die Spezialitäten sind für ihn ein immaterieller Kern der Brauerei.
Lemke
Der Berliner Kult-Bräu Oli Lemke schwamm weit vor der Welle. Schon 1999 eröffnete er in einem S-Bahn-Bogen am Hackeschen Markt sein Brauhaus und ließ sich auch von den neunmalklugen Craftjüngern nicht aus der Spur bringen. INSIDER taxieren die Fassbierabsätze in seinen Berliner Kneipen und das kleine, feine Flaschenbiersortiment heute auf rund 5.500 hl.
Camba
Camba ist ein Craft-Pionier der ersten Stunde. 2008 als Showroom des Brauanlagenherstellers BrauKon gegründet, wird seit 2016 Im idyllischen oberbayerischen Seeon gebraut. Nach dem Neubau in Seeon war eine Verdoppelung des Ausstoßes von ehedem 6.000 hl anvisiert worden, mittlerweile sind es insgesamt gut 14.000, viel davon in Dose abgefüllt. Und vieles davon traditionelle Sorten. Craft bleibt auch hier ein zartes Segment.
Union
Der Ex-Beck‘s-Manager Dr. Markus Zeller und sein Kompagnon, der Bremer Immobilienentwickler Lüder Kastens, wären ohne den Rückenwind den Crafttrends nicht auf die Idee gekommen, eine Brauerei zu bauen. Heute bedient die Union-Brauerei nicht nur Craft- sondern auch Heimatgefühle. Zum 2015 eröffneten Stammhaus in Bremen-Walle sollen in Bremen-Hermeling und Bremerhaven zwei weitere Hausbrauereien eröffnet werden. Unter diversen craftigen Neugründungen (u.a. Lillebräu-Kiel, Berliner Berg) dürfte die von Gastro-Professor Zeller die größte sein.
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