Bestellen ist heute so einfach wie nie. Per App kann der Wirt mit wenigen Klicks bei sämtlichen Lieferanten ordern. Im Gegenzug können die Händler passgenaue Angebote ausspielen. Derzeit zählen Choco, Gastivo, Kollex und Octopus zu den gefragtesten Bestellplattformen. Doch wer hat eigentlich die digitale Nase vorn?
Eines haben alle Plattformen gemein: Für den Gastronomen ist die Nutzung kostenlos. Zahlen muss in der Regel der Fachhandel. Im Funktionsumfang nähern sich die einzelnen Anbieter immer weiter an. Einen signifikanten Vorsprung hat sich noch keine digitale Lösung erarbeitet.
Choco
Das im Mai 2018 von drei ehemaligen Rocket Internet-Managern gegründete und mit Investoren-Millionen aufgepumpte Berliner Start-up Choco hat erst kürzlich imposante Zahlen vorgelegt: 1,17 Mrd Euro betrug der Gesamtwert der seit Gründung über die Plattform gehandelten Waren. Allerdings weltweit. Rund um den Globus nutzen laut eigenen Angaben 15.000 Gastronomiebetriebe und 10.000 Großhandelsbetriebe Choco für Warenbestellungen. Einen Großteil seines Geschäfts macht Choco in den USA. Zu Deutschland selbst will das Unternehmen keine Angaben machen und verweist auf eine „aktuell sehr dynamische Entwicklung“. So viel immerhin sagt Michael Kertes, der neue GFGH-Verantwortliche bei Choco: „Ich freue mich, dass wir eine starke Nachfrage aus dem Getränkegroßhandel verzeichnen.“
Für diesen ist Choco in seinen Grundfunktionen (Nutzung der App, Erstellung eines Warenkatalogs, Eingang von über die App getätigen Bestellungen von Restaurants über bestehende Kanäle wie WhatsApp, E-Mail, SMS) kostenlos. Auch das Onboarding „innerhalb eines Tages“ ist gratis, sagt Kertes. Wer den vollen Umfang von Choco nutzen will, der müsse das kostenpflichtige Premiumpaket buchen. Über dieses erhalte der Großhandel Zugang zu Web Tools inklusive einer sogenannten „Broadcasting-Funktion“, mit der die Lieferanten ihre Kunden per Push-Benachrichtigung in der App über neue Angebote oder Sonderfunktionen informieren können. Die Integration von Choco in ein vorhandenes ERP-System ist möglich. Choco will vor allem mit Barrierefreiheit und Einfachheit punkten. „Alle Bestellungen werden über eine App abgewickelt. Das sichert die teamübergreifende Übersicht über das Bestellmanagement. Und wer mit Messenger-Apps zurechtkommt, wird auch Choco problemlos nutzen können“, ist sich Kertes sicher.
Um eine Bestellung über Choco zu erhalten, muss der Großhändler Unternehmensangaben zufolge nicht auf der Plattform angemeldet sein. Es sei allerdings empfehlenswert, so Kertes. Denn nur dann könne die Chatfunktion genutzt werden, die es ermöglicht, den Dialog – etwa bei Fragen zur Bestellung – über einen einzigen Kanal zu führen. „Statt E-Mail, Anruf oder Fax gibt es einfach eine am Smartphone schnell getippte Nachricht.“ INSIDER ahnen jedoch, dass die bisher in weiten Teilen kostenlose App ganz nach dem Vorbild von Lieferando (bot seine Dienste anfangs auch kostenlos an) irgendwann saftige Gebühren erheben könnte.
Gastivo
Die Plattform Gastivo ist wie Choco seit 2018 auf dem Markt. Entwickelt wurde sie bereits 2014 von Dr. André Reifenrath, der im Januar zum Geschäftsführer von Gastivo berufen wurde. Das Tool von Team Beverage, das viel Geld von Transgourmet und Oetker im Rücken hat, sieht sich als neutrale Plattform, der sich jeder Lieferant anschließen kann. „Aktuell können mehr als 10.000 Gastronomen auf den Service von mehr als 250 Lieferanten aus den Bereichen Beverage, Food und Non-Food auf unserem Marktplatz zurückgreifen“, sagt Gastivo-Geschäftsleiter und Prokurist Ralf Ackermann. Für dieses Jahr werde intern mit rund 200 Mio Euro Bestellumsatz gerechnet. „Tendenz weiter steigend“, so Ackermann. Für den GFGH entstünden i.d.R. für die Aufschaltung bei Gastivo keine weiteren Kosten, da in den letzten Jahren zu vielen namhaften Anbietern von Warenwirtschaftssystemen der Getränkebranche bereits Basiskonfigurationen programmiert wurden.
Was bei Choco die „Broadcasting-Funktion“, nennt Gastivo „Warenkorberweiterung“. Darunter versteht sich ein Angebotssystem, mit dem jeder Fachhändler kurzfristig seinen Kunden neue Produkte und Angebote direkt in die jeweiligen Bestelllisten einspielen kann. Gastivo, das laut Reifenrath im Gegensatz zu manchem Wettbewerber, nicht disruptiv unterwegs ist, sondern die heterogene sowie persönliche Struktur zwischen Fachgroßhandel und Kunde erhalten will, biete zudem einen kontrollierten und damit qualitativ hochwertigen Artikelstamm. Dies sei möglich, weil Gastivo alle Artikel selbst einpflegt und damit immer auf dem aktuellsten Stand von Produktbeschreibungen und -darstellungen ist.
Wichtig sei es, so Reifenrath, dass Bestellplattformen nicht nur die Gastronomie im Blick hätten, sondern im Sinne des GFGH stets nachjustierten. Schließlich sei dieser das „Rückgrat des ganzen Geschäfts“. Das Gastronomie-Portal von Team Beverage sei ein „Kind der Branche“ und wolle dieser Vorteile verschaffen. Disruptive Portale würden sich explizit zwischen Gastronom und Händler stellen, um perspektivisch den Markt zu kontrollieren. Reifenrath warnt vor einer Marginalisierung der Fachgroßhändler. Diese würden sonst irgendwann zu Streckenlieferanten degradiert. Um eine Transformation erfolgreich zu durchleben, sei es immer wichtig die Stakeholder der Branche mitzunehmen, so Reifenrath. Nur so könne eine stabile Plattform entstehen, wie es Gastivo heute eine ist. Dies erlaube der Plattform nun auch die Expansion ins Ausland. Noch dieses Jahr soll Gastivo Schweiz an den Start gehen. Weitere europäische Standorte sollen folgen. Das Ziel: Die Marktführerschaft in Europa.
Kollex
Als Gegenpol zu Gastivo entwickelten im Jahr 2018 Coca-Cola, Krombacher und Bitburger gemeinsam Kollex. Ans Netz ging die Digital-Plattform allerdings erst mit einiger Verzögerung im Herbst 2019. Seit Anfang 2020 ergänzt Sekthersteller Rotkäppchen-Mumm den Gesellschafterkreis. Aufgrund der Industrie-Beteiligung heißt es hinter vorgehaltener Hand, der Bundesverband GFGH würde die Nutzung von Kollex inoffiziell nicht unbedingt empfehlen. Dem ist keineswegs so, lässt BV GFGH-Geschäftsführer Dirk Reinsberg wissen. Der Bundesverband habe keinerlei Positionierung, sondern weise unabhängig von der Plattform lediglich daraufhin, die Datenschutzbestimmungen genau anzuschauen.
Aktuell kann Kollex auf rund 140 angeschlossene Getränkefachgroßhändler mit eigenem Sortimentskatalog verweisen. Laut Geschäftsführer Lothar Menge ist die „Tendenz stark steigend“. Die Nutzer auf Seiten der Gastronomen beziffert Menge auf eine mittlere vierstellige Zahl. Der durchschnittliche Warenumsatz pro Lieferung betrage 500 Euro. In der Basisfunktion ist Kollex für den GFGH und seine Kunden dauerhaft kostenlos. Einzelne Features können gegen Bezahlung hinzugefügt werden. Die Plattform verspricht wie die Konkurrenz eine einfache und nutzerfreundliche Handhabung. Als Voreil von Kollex hebt Menge hervor, dass Kollex das gesamte GFGH-Sortiment samt Produkt-Detailinformationen digitalisiert und sich auch dauerhaft um die Pflege von Aktualisierungen und Neuheiten kümmert. Ab dem dritten Quartal wird die Lieferantenoffene Plattform Kollex Express in Kollex integriert. Damit sind künftig alle Lieferanten in einer App verfügbar. Weitere Produkterweiterungen sollen zudem im zweiten Halbjahr kommen.
Octopus
Auch die GES eG ist seit 2018 über ihre Beteiligung Order Systems mit der eigenen Bestellplattform Octopus unterwegs. Als großen Vorteil unterstreichen die Nürnberger die Unabhängigkeit ihres Tools. Weder Investoren noch Hedgefonds oder Geldgeber steckten in ihrer Lösung mit drin, lässt GES-Vorstand Holger von Dorn wissen. Als Genossenschaft müsse man zudem nicht primär Geld mit Octopus verdienen. Vielmehr sei Octopus eine Dienstleistung für den Fachhandel. Die GES kann inzwischen auf 850 Lieferanten verweisen, die Bestellungen via Octopus empfangen. Allerdings bezahlen nur diejenigen, die über eine vollautomatisierte Schnittstelle in ihre Warenwirtschaft verfügen. Das sind derzeit 130 Lieferanten – hauptsächlich GFGHs und mittelständische Brauereien. Sie bezahlen abhängig von der Anzahl der Bestellungen zwischen 29 und 99 Cent/Bestellung. GES-Mitglieder erhalten obendrein noch 10% Rabatt.
Auf Seiten der Gastronomie kann die GES derzeit auf 50.000 auf der Plattform angemeldete User verweisen. Holger von Dorn schränkt jedoch ein, dass davon bisher nur 5.000 User regelmäßig via Octopus bestellen. Mit Öffnung der Gastronomie sei die Tendenz steigend. Der durchschnittliche Bestellwert des Wirts liegt in etwa bei 500 Euro, so von Dorn. Für das laufende Jahr rechnet die GES mit einem Warenumsatz über Octopus in Höhe von 100 Mio Euro. Im Vorjahr war es Corona-bedingt nur die Hälfte. Aktuell investieren die Franken in eine komplett überarbeitete Technik hinter der App, um künftig nicht nur auf dem neuesten Stand zu sein, sondern auch noch schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Neue Features wie ein digitaler Handzettel und Chatfunktion sowie die Abbildung von Pfand und Retouren sind ebenfalls geplant. Irgendwann soll auch die GES-eigene Stammdatenbank an Octopus angeflanscht werden.
In einem sind sich übrigens fast alle Anbieter einig: Der Markt ist groß genug für mehrere Plattformen.
Artikel aus INSIDE 899