Noch kein INSIDER?

JETZT ZUGANG SICHERN!

Wählen Sie Ihre Anmeldeoption.

Schnell und unkompliziert INSIDER werden!

Weiter

Print-Ausgabe

#912

200.000 hl weg: Heinekens Lösung für Březňák und Co

Nach Gösser: Der nächste „Sündenfall“ beim Radler

Neben den Österreichern hat auch Perlenbacher ein „Radler“ auf dem Markt, das mehr Limo als Bier enthält. Der Bayerische Brauer-Bund ist wenig begeistert. Tatsächlich bewegen sich sowohl Perlenbacher als auch Gösser rechtlich auf dünnem Eis. Ein Umstand unterscheidet die beiden Fälle allerdings.

Dem ersten „Sündenfall“ Gösser folgt nun der nächste – das Natur Radler von Perlenbacher bei Lidl. Beide haben etwas gemeinsam, das den Bayerischen Brauer-Bund  (BBB) ärgert: Sie nennen sich „Radler“, bestehen aber nur zu 40% aus Bier. Hintergrund: Laut INSIDERN ist die Herstellung pro hl bei diesem Mischungsverhältnis zwischen einem und 1,80 Euro günstiger. Das liegt vor allem an der Biersteuer, die pro hl sieben bis acht Euro ausmacht. Zudem wird aus Sicht der bayerischen Brauer die rund 100 Jahre alte Marke „Radler“ verwässert. Aber ist das nur ein Ärgernis oder sogar verboten?

Grundsätzlich muss jedes Lebensmittel per EU-Verordnung mit einer Bezeichnung versehen sein. Die soll es dem Verbraucher ermöglichen, die Art des Lebensmittels zu erkennen, entscheidend ist also der Absatzort. Es gibt laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (BLGL) sogenannte allgemeine Verkehrsauffassungen, die von allen am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreisen (z. B. Hersteller, Wissenschaft, Verbraucher) festgelegt wird. Darüber hinaus gibt es sogenannte „beschreibende Bezeichnungen“, wenn ähnliche Erzeugnisse von der festgelegten Verkehrsauffassung abweichen.

Eine solche wäre beim 40:60-Radler wohl statt des Begriffes „Radler“ zu verwenden, denn: Im Jahr 2015 wurde im Bayerischen Arbeitskreis Bier, bestehend aus Vertretern der Brauerverbände, der Wissenschaft, der Verbraucher und der Lebensmittelüberwachung festgehalten, dass „Radler“ in Bayern zu 50% aus Bier und zu 50% aus Zitronenlimonade bestehen muss. Im Klartext: Ein „Radler“ mit weniger als 50% Bier, wie das von Perlenbacher, würde nicht der geltenden Verkehrsauffassung entsprechen und dürfte somit nicht unter dieser Bezeichnung in den Verkehr gebracht werden. Akzeptabel wären laut BLGL beschreibende Bezeichnungen wie „Biermischgetränk aus XX% Bier und YY% Zitronenlimonade“.

Warum passiert dann im Fall Perlenbacher nichts? Das BLGL betont, es sei eine Fach- und keine Vollzugsbehörde. Aber: Wenn bei der stichprobenartigen Überprüfung von Lebensmittelproben Abweichungen von den geltenden Bestimmungen festgestellt werden, werde dies in einem Befund festgehalten und an die für den Vollzug zuständige Vor-Ort-Behörde übermittelt. Das habe es in den vergangenen Jahren aber so gut wie nie gegeben. Überraschend, ist Perlenbacher doch mit Lidl in einem großen Discounter vertreten.

Gösser wiederum ist ein Sonderfall, denn bei Importen aus dem EU-Ausland sind abweichende Verkehrsbezeichnungen anderer EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich zu akzeptieren (laut einem EUGH-Urteil aus dem Jahr 1979), wenn Verbraucher vor Ort über die Abweichung zur hiesigen Verkehrsauffassung informiert werden. Dabei gibt es ein Problem: Laut Österreichischem Lebensmittelbuch darf „Radler“ 40 bis 60% Bieranteil besitzen, dort passt die Bezeichnung also. In Bayern müsste Gösser aber die Abweichung kenntlich machen. Bei den Zutaten tut Gösser das selbstverständlich, vorne auf dem Ettikett allerdings nicht. Bisher ging das durch.

Zum Ärger des BBB: In der Nähe der Bezeichnung Gösser Natur Radler müsste auf die abweichende Zusammensetzung dieses Biermischgetränkes zwingend hingewiesen werden, um die Verbraucher nicht zu irritieren und eine biersteuerrechtliche Verzerrung des Wettbewerbs zu vermeiden, ist man dort überzeugt. Genauso sollten aus Sicht des BBB bayerische Brauer bei einer Lieferung von Radler in andere Bundesländer die vermischten Getränke beschreiben, da es dort keine „Radler“-Tradition gebe. Andersrum gelte das auch: Das norddeutsche „Alsterwasser“ sei in Bayern erklärungsbedürftig.