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#926

Die Kosten-Preis-Presse

Minenfeld Mehrweg

Lidls Einweg-Kampagne ist nur das augenscheinlichste Symptom eines Problems, das sich unter der Oberfläche zu einem Flächenbrand auswachsen könnte. Es geht um die Zukunft des Mehrwegsystems - politisch wie wirtschaftlich. Dumm, dass die wichtigsten Akteure zerstritten sind wie eh und je.

27. April 2023, Party-Time in Berlin. Beim Parlamentarischen Abend im „Braufactum“ am Hausvogteiplatz fließt Bier aus 16 Zapfhähnen. Brauer-Präsident Dr. Jörg Lehmann hält eine launige Ansprache, nach ihm auch Biersommeliere Nicola Buchner. GeMeMa-Gf Hans Baxmeier und der MPB-Grande Peter Hahn turteln einträchtig. Es gibt „Meisterstücke vom Grill“, ein paar „Extrawürste“. Beer&Dine. 150 Menschen sitzen so eng zusammen, dass jeder alles mitbekommt.

Für Lisa Badum von den Grünen ist es ein Heimspiel. Die Fränkin leitet den Parlamentskreis Braukultur in Berlin. Mehr als 60 Mitglieder, man sollte seinen Einfluss auf die Politik nicht unterschätzen. Der Deutsche Brauer-Bund weiß schon, warum solche Abende wichtig fürs Binnenklima sind. In diesen Zeiten ahnt niemand, mit welcher Nachricht man am nächsten Morgen aufwacht. Der Krieg. Energie. Alkohol. Vor kurzem hat Verbraucherminister Cem Özdemir mal so mit links die Zuckerdebatte befeuert. Was kommt als Nächstes?

Dann tritt Lisa Badum aufs Podium; sympathisch, freche Klappe, die Liebe zum Bier unverkennbar. Ein paar Schoten über Frauen und Brauen, ein paar Hinweise auf das, was die Politik schon für die Brauer erreicht hat. Applaus Applaus. Eine Rede fürs Gemüt. Da geht fast unter, was Lisa Badum mal eben so in ein paar frei gesprochene Halbsätze verpackt: „Was wir in der Politik gar nicht können und gar nicht wollen, ist, Ihnen Flaschennormen und Ähnliches vorzuschreiben. Aber wir arbeiten sehr gerne mit Ihnen zusammen bei den Konzepten der Kreislaufwirtschaft, um das voranzubringen. Ich glaube, dass Sie alle ein Interesse daran haben.“

Wir wollen Ihnen keine Flaschennormen vorschreiben. Heißt das: Macht, was Ihr wollt? Oder heißt das: Wir haben ein Problem erkannt, und wir schreiben Euch nichts vor, solange Ihr das Problem selbst in den Griff bekommt? Nach allem, was bislang bekannt ist, muss man wohl sagen: Variante zwei.

GeMeMa und die MPB - eine Endlos-Story

Dass in Berlin an besagtem Abend die Herren Baxmeier (GeMeMa) und Hahn (MPB) einträchtig zusammen saßen, heizte im Saal die Gerüchteküche an: Läuft da was? Seit der Gründung der GeMeMa im Corona-Jahr 2020 und der eilig nachgereichten Gründung der MPB wenig später ist das Paradoxon von zwei Pool-Vereinigungen offenkundig, die jeweils für sich reklamieren, einheitliche Flaschenpools gründen zu wollen. Nach bald drei Jahren muss man konstatieren, dass sich die GeMeMa-Gründer Bitburger, Krombacher, Warsteiner und Radeberger mit all ihrer Marktdominanz grade mal auf einen 0,33-Liter-Longneckpool geeinigt haben. Selbst ein 0,5-Liter Longneck-Pool steht noch immer in der Findungsphase, u.a. auch weil Gründungsmitglied Bitburger unlängst verschwurbelt verlauten ließ, man denke gar nicht daran, mitzumachen – „zentrale Parameter nicht festgeschrieben“ etc. Was man halt so sagt, wenn man auf die eigene Erfindung keine Lust hat. Die MPB ihrerseits ist über Absichtserklärungen und Willensbekundungen noch gar nicht hinausgekommen. Und selbst wenn man sich dort dereinst auf einen markierten Pool einigen würde: Wer soll ihn herstellen? Glashütten arbeiten längst an der Grenze ihrer Kapazitäten.

In Österreich hingegen haben Brauer und Handel unlängst sehr nachdrücklich die Verwendung einer neuen 0,33er Poolflasche (von Vetropack) empfohlen. Einfach so.

Platzt das System bei einer Schock-Ausdehnung?

Wie lange die Politik dabei zuschaut, wie sich Brauer (im Gegensatz zu den Brunnen) noch an einem Poolsystem abarbeiten, ist die eine Frage; sie wird immer lauter gestellt, vor allem in Funktionskreisen, wo man berufsbedingt gelegentlich über den Tellerrand hinausschaut. Man werde über kürzer oder länger schlichtweg dazu gezwungen werden, heißt es dann hinter vorgehaltener Hand. Sanktioniert ist am Ende schnell. Man erinnert sich zum Beispiel noch gut daran, wie die Politik seinerzeit die Petcycle- Gebinde quasi über Nacht zu Einweg und damit für entsprechend hoch bepfandet erklärte.

Die andere Frage lautet: Verträgt das deutsche Mehrwegsystem in der bestehenden Form überhaupt eine Hauruck- Extension? Zum Beispiel durch verbindliche Mehrwegquoten für den Handel, wie sie derzeit auf EU-Ebene im neuen Entwurf für die Verpackungsverordnung PPWR diskutiert werden. Ob es am Ende eine Quote von 10, 20 oder 40 % wird und bis wann sie exakt durchgesetzt werden soll (die Planungen laufen erstmal bis 2040), ist in diesem Zusammenhang eigentlich nebensächlich. Fakt ist: Die Quote wird kommen, und dass Lidls groß angelegte Einweg-Kampagne eben jetzt, nach Ostern, lanciert wurde, konterkarierte die Absicht der Bundesregierung, sich der EU-Richtlinie keinesfalls zu widersetzen (dazu auch S. 3). Wie aber werden LEH und Discount (die bislang die 70%-Mehrwegquote des deutschen Verpackungsgesetzes im Schulterschluss mit ihren Lieferanten weitgehend ignorieren) reagieren, wenn die Quote steht? Eigene Leergutlostik, am GFGH vorbei? Mehr Eigenmarken in eigenen Bottles? Ein Aldi-Pool, einer für Lidl, einer für die Edeka? Alles ist denkbar, nichts ist unmöglich. Auf jeden Fall wird´s ungemütlich.

Am Ende, heißt es hinter vorgehaltener Hand in Berlin und anderswo, steht der eigentliche Crashtest aber noch bevor, wenn Brüssel seine ebenfalls in der PPWR angedachte zentrale Steuerung des Mehrwegsystems für jedes Mitgliedsland durchsetzt. Heißt im Klartext: Das jetzige illustre deutsche Mehrwegsystem – mit GDB, den mehr oder weniger gepflegten Flaschenpools der Brauer und allen damit verbundenen Pfandsystemen – würde dann in Frage gestellt. Eine Horrorvorstellung für Verbandsmenschen, die mittlerweile auch deutsche politische Würdenträger auf die Barrikaden treibt.

Artikel aus INSIDE 926