Der Biermarkt leidet unter Überkapazität. Und die Radeberger Gruppe (bis 2002 „Binding AG“) kehrt vor der eigenen Haustür. Bis Ende September 2023 wird die Produktion am Hauptsitz in Frankfurt dichtgemacht. Der Aufschrei im Umfeld ist groß, die Branche goutiert es mit einem Achselzucken.
Nach der Schließung des Standorts Köln im Jahr 2021 erwischt es nun auch Frankfurt. Viel war nicht mehr übrig. Neben diversen Abfüllmengen (u.a. Schöfferhofer, Clausthaler, Jever) wurde bei der Binding-Brauerei nur noch rund 100.000 Binding (Römer-Pils, Export, Naturtrüb, Radler) hergestellt. Die ehedem fünfmal so große Lokalmarke wird in der Gastro hochgehalten, hat aber in Frankfurt nie den Status einer beliebten Lokalmarke aufbauen können.
Noch schlimmer steht es um Henninger. Die frühere Keimzelle der ReemtsmaGruppe brachte es in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts noch auf eine Mio hl. Als 2001 der damalige Radeberger-Boss Ullrich Kallmeyer zuschlug und Henninger für die Binding-Brauerei dazukaufte, waren HenningerExport, Kaiser-Pilsener und Radler schon auf 500.000 hl geschrumpft. Heute ist davon nur noch ein Bodensatz von kaum 15.000 hl übrig. In Frankfurt wurde immer weniger hergestellt. Überlegungen, den Standort aufzugeben, gab es schon 2008. Damals wurde ein Neubau im 13 km entfernten Bad Vilbel geplant. Die Finanzkrise beendete die Pläne. Radeberger schwenkte um, baute direkt neben der Brauerei am Sachsenhäuser Berg eine neue Hauptverwaltung. Die soll bleiben.
Die Binding-Brauerei aber wird dichtgemacht. Für die betroffenen rund 150 Mitarbeiter sucht Radeberger sozialverträgliche Lösungen (etwa Altersteilzeit oder ein Wechsel an einen anderen Standort). Die 120.000 hl Binding und Henninger sollen von Tucher in Nürnberg/Fürth gebraut werden.
Mit dem Ende in Frankfurt macht sich der Biermarktführer um Kapazitätsabbau verdient. Versüßt wird die hehre Tat von Immobilien-Optionen. Nach der Verlagerung der Gilden, Sester, Sion, Dom, Küppers und Peters zum Kooperationspartner Cölner Hofbräu Früh fiel von den 2019 noch 300.000 hl zwar vieles weg. Doch konnte Radebergers Sonderbeauftragter, der mittlerweile ausgeschiedene Gastro-Chef Jens Caßens, das Gelände der alten Gilden-Brauerei in Köln-Mülheim für ca. 50 Mio Euro veräußern (INSIDE 884). Bauen statt Brauen könnte auch die Devise in Frankfurt lauten. Das Binding-Grundstück liegt in bester Wohnlage. Eine Umwidmung durch die Stadt erscheint zwar schwierig. Gewerbesteuerzahler Radeberger könnte aber das Festhalten am Sitz der benachbarten Hauptverwaltung in die Waagschale werfen.
Exklusive Frankfurt verfügt die Gruppe noch über elf Braustandorte. Pro Standort also durchschnittlich eine Mio hl. Einige liegen sehr deutlich darunter. INSIDER rechnen deshalb mit weiteren Überprüfungen des Produktionsnetzwerks. Z.B. an der Ostsee.