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Schnee von morgen bei Karmeliten

Bei der Straubinger Karmeliten Brauerei mit ihren 50.000 hl Bier geht Gf Christoph Kämpf den Weg zur Energieautarkie seit zehn Jahren mit der unternehmerischen Kraft des Mittelstandes. Das Haus gehört zur Hälfte den Nachfahren von Karl Sturm, der sie 1879 übernommen hatte. Die anderen 50 % hält die Kelheimer G. Schneider & Sohn – keine ganz einfache Gesellschafterstruktur. Dennoch sagt Kämpf heute: Der Mittelstand treibt die Energiewende voran, nicht die Konzerne. Sein Motto: möglichst viel Energie selbst erzeugen und diese vollständig und möglichst oft nutzen.

Im Winter schneit es bei Karmeliten in Straubing auch an trockenen Tagen. Dann weht der künstliche Schnee über den Hof, es ist der Anfang einer Energiewende, die mittlerweile von Delegationen aus der ganzen Welt bestaunt wird.  Früher haben die Brauer Eis im nahegelegenen Weiher gestochen. Aber einen Weiher gibt es nicht mehr.

Lange haben der Kaufmann Kämpf und seine Ingenieure ab Beginn der 10er Jahre zusammen mit Experten von Ziemann an dem selbstironisch „Ice Age“ genannten Verfahren getüftelt, Pläne aufgestellt und verworfen – und am Ende eine Methode entwickelt, wie sich Naturkälte in Form von technisch erzeugtem Schnee speichern lässt. Der Schnee erzeugt durch das Abschmelzen Kaltwasser, das Kaltwasser versorgt die Brauerei mit Kälteenergie. Schnee- oder Schneilanzen funktionieren auch bei Außentemperaturen über 0°C, sind einfach im Aufbau, nahezu wartungsfrei und kosten weniger als Schneekanonen.

Gespeichert wird der erzeugte Schnee in der Theorie am besten in einem im Erdreich eingelassenen Tank oder einem teichähnlichen Speicher. In Niederbayern wird für den Straubinger Prototypen von Ice Age einfach nur ein flaches Feld mit Schnee beschneit. Er kühlt das darunter durchfließende Kältemittel ab. Die Techniker haben von Anfang an durchgerechnet: Im Schnitt deckt das Speichervolumen den Kältebedarf einer Monatsproduktion. Mit drei Beschneiungs- und einem Abschmelzmonat kann die Brauerei damit ein Drittel des Jahreskältebedarfs regenerativ hocheffizient abpuffern.

Oder, um es technisch zu beschreiben: Ein halber Kubikmeter Schnee setzt durch die freiwerdende Abschmelzenthalpie den gesamten Kältebedarf eines Hektoliters Biers frei. Bei Karmeliten erwies sich in der Praxis, dass Schneelanzen etwa 3,77 Kubikmeter Schnee pro eingesetzter Kilowattstunde (kWh) Strom produzieren. Daraus errechnet sich ein COP-Wert des Schneeverfahrens von 210. Das heißt: 210 kWh Kälteleistung pro zugeführter kWh elektrischer Leistung werden erreicht. Die Kälteerzeugung mittels Schneelanze hat somit eine 50- bis 70-fach höhere Effizienz als eine moderne Brauereikälteanlage.


Es ist ein steiniger Weg, aber gerade jetzt erweist er sich als der richtige


Der Weg zur Energieautarkie wird mit der Investitionsbereitschaft der Gesellschafter oder Aktionäre steiler oder flacher. Die Frage ist nicht, ob echte Energieautarkie (also der Verzicht auf zugekaufte regenerative Energie) möglich ist oder nicht. Die Frage ist, was die Geldgeber mit welchen Blick auf den ROI bereit sind zu investieren. So gesehen ist auch Karmeliten noch nicht autark, weil sie noch immer Erdgas bezieht. Das langfristige Ziel allerdings wurde schon 2013 definiert: die gesamte Primärenergie der Karmeliten Brauerei nahezu vollständig aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen.

Die Straubinger wollen also möglichst viel Energie selbst erzeugen und diese möglichst oft nutzen. Der Einbau eines neuen Sudhauses, das allein über Kaskadeneffekte Energie spart, war seinerzeit der erste, zusammen mit Ziemann Holvrieka entwickelte Schritt auf dem Weg zur „energieautarken Brauerei“.  In der Folgezeit wurde u.a. eine mit Biogas betriebene Mi­krogasturbine zur Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt. Eine Absorptionskälteanlage, mit Propan als natürlichem Kältemittel, wandelt die aus der Solarthermie gewonnene niedrigere Prozesswärme zusätzlich in Prozesskälte um. Überschüssige Kälte wird in Eistanks zwischengespeichert. Höher belastetes Abwasser wird zu Biogas umgewandelt, das dann wiederum brauereiintern verwertet wird.

Mit dem Vorhaben wurden laut Berechnungen der Brauerei schon in der Anfangsphase rund 1,4 Mio Kilowattstunden Primärenergie eingespart werden – eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um rund 900 Tonnen pro Jahr.  Jahr für Jahr liegt der Anteil regenerativer Energien dort höher; auch dank  Schnee-Lanzen und kühler Köpfe.   

 

Dieser Text erschien Ende Mai 2022 in unserem Sonderheft INSIDE FUTURE IF 2022 #1 - Das ganze Heft in der pdf lesen können Sie hier.