35 Mio Tonnen Biertreber weltweit. Allmählich dämmert der mehr denn je auf Wertschöpfung und Zusatznutzung bedachten Brauwirtschaft, dass ihr Abfallprodukt mehr Erlösquellen als nur Tierfutter und Biogas generiert. Für alternative Ideen ist Platz genug. Jetzt steigt auch der bislang eher nicht so alternative Verpackungsmulti Tetra Pak ins Rennen ein.
Wie hoch die Sensibilität der gesamten Lebensmittelbranche (nicht nur der Brauer) in puncto alternative Ernährung mittlerweile ist, zeigt sich derzeit am ziemlich groß gewordenen Hamburger Start-up Infinite Roots (Mushlabs). Beteiligt daran ist von Anfang an auch Bitburger Ventures (mittlerweile mit 8,37%). Infinite Roots arbeitet mit dem südkoreanischen Lebensmittelkonzern Pulmuone zusammen, die bereits Pilzmyzeltests durchgeführt haben, die als Grundlage für ein breites Produktspektrum gelten. Pilzmyzele sind eine sich extrem schnell reproduzierende Eiweißquelle und basieren auf Basisträgern wie Treber. Seit der Gründung 2018 hat die Truppe um Infinite Roots-CEO Mazen Rizk satte 78 Mio Dollar Kapital eingesammelt. Die Investorenfamilie ist äußerst divers – wie oft in solchen Fällen: Hauptgesellschafter sind die Berliner AFL Investments GmbH & Co. KG (26,29%) und die Hamburger Polysaccharides UG (13,14%). Auch die Rewe ist mittlerweile an Bord.
Die wissenschaftliche Grundlage ist bei Infinite Roots ähnlich komplex wie die der Stralsunder Eat Beer Biotech GmbH, einem Unternehmen von Nordmanns Kontor N GmbH & Co. KG (75%) und Jan Malte Nordmann (25%). Seit Jahren lässt Jürgen Nordmann, Präsident der Freien Brauer, an der Weiterverwertung von Treber forschen und stellte das Konzept beim Get.In.-Kongress 2023 und in INSIDE Future 2023 #1 vor. Manch Berufsgenossen treibt das alles noch Tränen des Unglaubens in die Augen, allein: Nordmann und sein Innovations-Manager Jens Reineke-Lautenbacher glauben dran. Dabei wollen sie im Verbund eines regionalen Malt Fungi Protein-Bündnisses (in Zusammenarbeit u.a. mit Hochschulen) Treber aus der Bierherstellung als Substrat für die Pilzaufzucht von Basidiomyceten aufbereiten, die ein proteinreiches Myzel ausbilden und dadurch große Mengen an Pilzprotein liefern können. Aus dem könnten dann vegane, proteinreiche Lebensmittel entstehen.
Vereinfacht ausgedrückt: Aus Treber wird die Basis für Superfood und aus der Brauerei ein Nahrungsmittelhersteller. Allerdings rückt das voluminöse Forschungsprojekt erst jetzt so langsam an den Start: In Q3 oder Q4/2024 soll es in Stralsund losgehen. Später soll dann die Eat Bier Biotech GmbH bei den Brauern vor Ort die Treberaufbereitung koordinieren.
Von der Brauerei zum Nahrungsmittelhersteller
Pro Jahr fallen allein in Deutschland rund 1,6 Mio Tonnen Biertreber an. Doch die Weiterverwertung (Richtwert: 20 Kilo Nasstreber/hl Bier) beschränkt sich bislang weitgehend auf die Verwendung als Tierfutter oder für Biogasanlagen. Ab und zu wird er auch zu Broten oder Müslis, zu Hygieneprodukten oder Verpackungsmaterial verarbeitet. Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena erprobten Biertreber als biologische Ressource für die Herstellung elektrochemischer Energiespeicher. Alles wenig mengentauglich. Oder schwer zu kommunizieren. Wen wundert‘s deshalb, dass unlängst der Schweizer Verpackungsgigant Tetra Pak eine nicht mal auf den ersten Blick uneigennützige Variante der Geschäftsidee ventilieren ließ (ohne freilich, mit Bezug auf Verschwiegenheitsvereinbarungen) Details zu nennen.
Demnach sollen Brauereien auf Basis von Biertreber selbst Pflanzendrinks und Milchalternativen herstellen - mit Know-how von Tetra Pak und mutmaßlich auch auf Maschinen, die der Verpackungsgigant gleich mitliefern kann. 1991 hatte Tetra Pak das schwedische Unternehmen Alfa Laval übernommen, das Wärmeüberträger herstellt. Zwei Jahre später wurde die Tetra Laval Gruppe mit Sitz in der Schweiz gegründet. Tetra Pak, laut Unternehmensangaben im Jahr 2022 mit einem Nettoumsatz von 12,5 Mrd Euro, ist heute eine Tochtergesellschaft dieser Tetra Laval Gruppe, ebenso wie der ebenfalls in der Schweiz ansässige PET-Spezialist Sidel, der praktischerweise auch Abfüllanlagen herstellt. Womit der bislang im Braugeschäft stark unterbelichtete Weltkonzern plötzlich mindestens einen Fuß drin hätte.
An der Idee getüftelt wird angeblich schon seit August 2020. Mit welchen Brauereien sich Tetra Pak zusammentut, ist noch immer unter Verschluss. Darüber hinaus gibt es INSIDERN zufolge aber Überlegungen, auch Verpackungen selbst aus Treber herzustellen. Die Technologie dafür gibt es, wie jüngst Schweizer Forscher von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) gezeigt haben (INSIDE 945): Ihnen ist es gelungen, aus dem nach der Maische übrig gebliebenen, ausgelaugten Malz biologisch abbaubare Nanocellulose und daraus wiederum Lebensmittelverpackungen herzustellen.
Artikel aus Heft 948