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Bitburg wieder am Nullpunkt

Seit über einem Jahrzehnt tritt Bitburg auf der Stelle, während Veltins, Krombacher und auch Radeberger ihre Geschäftsmodelle vorantreiben. Nach der glücklosen Ära W. Wolf ist nach sechs Jahren auch A. Dahm gescheitert.

Es hatte Überredungskunst benötigt, bis es die 32-%-Gesellschafter des Gerolsteiner Sprudels, die Familie Buse, dem Hauptgesellschafter gestatteten, den Vorsitzenden der Geschäftsführung abzuziehen, um ihn zur Brauerei in die Eifel zu holen. Axel Dahm hatte bei Gerolsteiner sehr erfolgreich gearbeitet. Der frühere Berentzen- und Reemtsma-Mann brachte Gerolsteiner nach seinem Antritt 2008 wieder zum Glänzen. Die verzweifelten Sortimentsausweitungen, mit denen sich Mineralbrunnen aus der Glaubwürdigkeitsfalle  schleichen wollten, hatte unter seinem Vorgänger Jörg Croseck auch Gerolsteiner ergriffen.

Dahm verpasste Gero einen radikalen Rückschnitt, trennte sich von Mitarbeitern, Sorten und Gebinden und konzentrierte sich ganz auf Gerolsteiner Sprudel. Die Buses sollten Recht behalten, Dahm war nicht einfach zu ersetzen, sein Nachfolger Robert Mähler scheiterte nach einem Jahr und wurde 2019 von Roel Annega abgelöst.

Schon bald nachdem Dahm im September 2016 zur Brauerei wechselte, wurden im Kreis der Th. Simon Holding GmbH & Co.KG, in der die 34 Gesellschafter in einer Art Family Office gesammelt sind, Stimmen aufgefangen, dass man sich mit dem Wechsel von Dahm nach Bitburg womöglich zwei Probleme geschaffen hatte. Zur offenkundig klaffenden Lücke in Gerolstein gesellten sich Zweifel, ob der „Markenflüsterer Dahm“ (INSIDE 560) der Braugruppe weiterhelfen kann.

Dabei hatte der gelernte Psychologe eine klare Strategie im Gepäck. „Bier ist seit vielen Jahren viel zu billig“, tönte er kurz nach seinem Antritt im Handelsblatt und kündigte regelmäßige Preiserhöhungen an. Bei der Hauptmarke Bitburger setzte er mit einer Siegelhopfen-Kampagne (wie weiland bei Gerolsteins Mineralien-Strategie) auf Inhaltsstoffe. Und kappte das jahrzehntelange DFB-Sponsoring. In einem Interview mit der SZ („Der Hopfen-Philosoph“) erhob er seine Unbeirrbarkeit zur Maxime: „Ich scheitere lieber mit dem Richtigen, als mit dem Falschen Erfolg zu haben.“

Große Kunden runzelten die Stirn: Von den angekündigten Preiserhöhungen blieb nicht viel übrig, Bitburger schwimmt weiter im Teich der übrigen Pilsmarken. Dahm erkor neue Vorbilder wie Augustiner oder andere hochpreisige Regionalmarken. In diese Richtung sollte auch Bitburger mutieren, durch handwerkliche  Sorten wie Bitburger Kellerbier, Winter- oder Maibock, und die Präferierung der Stubbi-Flasche (die im LEH allerdings als Aktionswaffe eingesetzt wird). Und immer wieder begeisterte er sich für Nischen („Bit auf Zwergenfahrt“ – INSIDE 862“), brachte Bitburger Cider, Bitburger glutenfrei, Eifeler Landbier (gegen Bedenken von Niewodniczanski) oder zuletzt ein 0,0 herb. Auch in der Ära Dahm kam die Hauptmarke kein Stückchen voran.

Die größte strategische Frage der Braugruppe blieb auch unter Dahm unbeantwortet. Seit Dr. Michael Dietzsch vor knapp 20 Jahren 469 Mio Euro aus dem Geldspeicher holte, um seinen ärgsten Widersacher König-Brauerei sowie die hessische Perle Licher zu kaufen, gibt es keine Antwort, wie die Marken zu managen sind. Bei der 2020 an Carlsberg verkauften Wernesgrüner hatte sich Dahm mit einer doppelten Preiserhöhung verzockt. Licher ist abgestürzt, ohne dass Bitburger in Hessen davon hätte profitieren können, die Mengen wanderten nach Krombach und zu Veltins. Und König? Das hat Dahm nach einem von der Pandemie ausgebremsten Revitalisierungsversuch zur B-Marke erklärt. Die Preiserhöhung wurde ausgesetzt, explizit mit Blick auf den vermeintlich so engen Wettbewerber Warsteiner. Den zwischenzeitlich als eigenständigen Geschäftsführer geholten Daniel Einhäuser (einen früheren Reemtsma-Kollegen) schickte Dahm schnell wieder vom Hof.

Dem Markenmann fehlte das Gespür für den Vertrieb, sagen INSIDER. Während er in Gerolstein blind auf Vertriebschef Harry Stadler vertrauen konnte, ging ihm in Bitburg Handelschef Andreas Reimer von der Fahne, der zuvor gerne selbst auf dem Gf-Sessel Platz genommen hätte und ein Angebot als CEO von Hengstenberg annahm. Der von Dahm zum Nachfolger ernannte Exportchef Till Hedrich, ein langjähriger AB Inbev-Mann (interner Spitzname “Excel-Till“), nahm die ehedem eingeschworene Truppe nicht mit. Und der unnahbare Dahm blieb für das Vertriebsfußvolk unerreichbar. Manch Verkaufsleiter wunderte sich, dass ihn Dahm auf dem Firmenparkplatz nicht erkannte, und ein Key-Accounter grummelte: „Der redet doch lieber mit Agenturen als mit uns.“  Spätestens mit der Pandemie, die Dahm mit breitem Kreuz und einschneidenden Personal-Maßnahmen entschlossen managte, ging der Draht zur Mannschaft verloren.

Fürsprecher im Unternehmen hatte er keine mehr. Am Schluss wandte sich auch die von Matthäus Niewodniczanski geführte Holding und der von Beiratschef Dieter Heuskel angeführte Beirat ab. Ausschlaggebend war dort die Ergebnisperspektive der Braugruppe. Im Vorfeld der Jahresplanung 2023 wurde klar: Nach der Pandemie kehrt Bitburger nicht mehr zur alten Stärke zurück. Wenige Tage vor Dahms 60. Geburtstag fiel vorletzte Woche (INSIDE-Hotshot vom 20.5.) der letzte Vorhang. Natürlich in bestem Einvernehmen. Dahm bleibt im Dunstkreis des Unternehmens. Als Beirat von Gerolsteiner, dem Unternehmen, dem er helfen konnte.

Bei der Braugruppe stehen die Zeiger nun wieder auf Null. Dahms Aufgaben wurden nach dem letztlich kurzfristigen Rauswurf auf die Gf-Kollegen verteilt. Der Vertrieb berichtet an Finanzchef Stephan Fahrig.  Die Suche nach einem Nachfolger beginnt frühestens jetzt. Doch auch bei den Gesellschaftern im Family Office steht der Zeiger wieder auf Null. Bevor Dahm kam, hatten sie sich bei einer Versammlung in Ettal auf Festhalten an der Brauerei verständigt. Aber gleichzeitig auf eine breitere Streuung ihres Vermögens. So ist die Th. Simon Holding in Dürr Zahntechnik, Wera Werkzeuge, Poli-Tape Klebefolien, den Babyausstatter Sterntaler, den Zeltbauer HTS tentiQ, den Schmierstoff-Spezialisten Avista Oil AG sowie in viele Start-ups (Bitburger Ventures) investiert. Ein Nachfolger aber sollte wissen, was die Gesellschafter mit Bier vorhaben.   

 

Artikel aus INSIDE-Ausgabe 903