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Wüllner in Hinkels Marken-Sanatorium

Der zähe Verkaufsprozess schleppte sich über ein Jahr und fand jetzt doch ein Happy End (INSIDE-Hot Shot vom 1.12.): Die arg heruntergewirtschaftete Wüllner-Gruppe landet mitsamt aller Standorte und Mitarbeiter im sicheren Arm der Hassia-Gruppe.

Es ist das schmucklose Ende einer bis vor 20 Jahren noch beispielhaften Erfolgsstory. Hans-Georg Wüllner, Zweiweg- und Petcycle-Pionier mit Markengespür, der sich mit der von Stardesigner Luigi Colani gestalteten Markenflasche ein Kapitel in den Brunnengeschichtsbüchern sicherte, zog sich Mitte der Nullerjahre in den Beirat zurück, seither walteten seine für das Marketing zuständige Tochter Heike Wüllner und ihr Ehegatte Maik Ramforth-Wüllner über das Unternehmen. Sie übernahmen auch ein gehöriges Pfund an Selbstbewusstsein, dazu kam ein stetes Misstrauen zu leitenden Mitarbeitern und Kunden. 

Größte Baustelle blieb der Vertrieb, wo das Ehepaar stets große Namen einkaufte, die sich aber nie lang halten konnten oder wollten. Die Liste der Gescheiterten ist lang: Nach dem Abschied von Vertriebsleiter Wolfgang Meier versuchten u.a. Heinz Grüter, Frank ArndtThomas PalloksHermann-Josef Hoppe, Guido GrebeCarsten Thomas Heß zwischen den selbstgerechten Ansprüchen der Wüllners und denen des Marktes zu vermitteln. 

Die Umsatzziele wurden stets verfehlt. 2019 waren es noch gut 70 Mio Euro. Vor allem aber: Die Ergebnisse des ehedem hochprofitablen Unternehmens gaben kontinuierlich nach. Hohe Investitionen und Abschreibungen übergab schon der Senior, was die nächste (und wie sich jetzt zeigt, letzte) Generation nicht davon abhielt, prestigeträchtig weiter zu investieren. Unter anderem in eine Nobel-Verwaltung (siehe Foto), zuletzt 15 Mio Euro für eine neue Glasabfüllung mitsamt Produktions- und Lagerhallen in Bielefeld. Der Verbraucher-Trend von PET zu Glas hinterließ Spuren in der Bilanz. Auch in Güstrow musste investiert werden. Die Eigenkapitalquote sank 2018 auf jämmerliche 13,6% ab (INSIDE 848). Die Verbindlichkeiten belaufen sich laut 2018er Bilanz auf 36 Mio Euro, ein halber Umsatz.

Die Banken wurden nervös, erst recht als sich ihr jahrelanger Ansprechpartner, Verwaltungs-Gf Volker Buchholz, von Wüllner verabschiedete (Buchholz ging später ausgerechnet zur Firma BTB PET Recycling des inzwischen bei Wüllner auch als Gesellschafter ausgeschiedenen Seniors Hans-Georg Wüllner und dessen Sohn Hans-Richard). Stattdessen wachte Ramforth-Wüllner selbst über die Finanzen. Allerdings nur kurz. Die Kreditgeber installierten einen neuen Beirat (mit dem vormaligen Rhönsprudel-Restrukturierer Dr. Manfred Ziegler) und holten mit Ralf Massow einen interimistischen Finanz-Geschäftsführer (INSIDE 855). Er sollte Licht in das Zahlendickicht bringen. Der Verkaufsprozess war da längst angelaufen. 

Zunächst wurde gehofft, allein die Osttöchter loszuschlagen. Der rund 90 Mio Liter große Gaensefurther Schlossbrunnen in Sachsen-Anhalt stand schon zuvor immer wieder mal auf der Verkaufsliste, nun ging auch der 2007 von der Mineralbrunnen AG gekaufte Güstrower Schloßquell mit insgesamt 45 Mio Litern in das Paket ein. Doch keiner wollte zugreifen, trotz sehr kreativer Verkaufsprosa. Aus einem Lohnabfüll-Vertrag für Flaschenpost wurde darin flugs der erste Meilenstein einer Digitalstrategie. Ohne Erfolg. Mangels Interesse wurde noch im Sommer der Verkauf abgeblasen, Ziegler legte sein Beiratsmandat nieder. Zu verkaufen war die Gruppe offenkundig nur im ganzen. Mitsamt des Stammbetriebs in Bielefeld. 

Für den allein hätte es durchaus Interessenten gegeben, laut INSIDERN auch die Krombacher Gruppe, die ihre neue Schweppes-Glasflasche und bald auch den Volumenartikel 1,25 EW (zuvor bei Stute) in Bielefeld abfüllen lässt. Orangina-Artikel sollen folgen. An Wüllners Hauptmarke Carolinen hätte Bernhard Schadeberg unter Umständen Gefallen gefunden. Die Ostbuden allerdings wollte wohl auch er sich nicht antun. 

Stattdessen schlug die Stunde der Hinkels. Dirk Hinkel und sein Vater Günter waren die Einzigen, die das Problem vollständig lösen konnten. Sie übernehmen zum 1. Januar das komplette Paket, alle Standorte. 

Wie viel Geld tatsächlich geflossen ist, darüber liegt der Mantel des Schweigens. Ohne Schuldenübernahme dürften es kaum mehr als 10 Mio Euro gewesen sein. Verteilt auf vier Anteilseigner: die 50%-Gesellschafterin Heike Wüllner, ihre 24 bzw. 25 Jahre alten Kinder Arne und Birthe (je 13,8%), sowie (auch wenn es Heike Wüllner bei der Online-Pressekonferenz vergaß, ihren Gatten zu erwähnen), Maik Ramforth-Wüllner (22,4%). Die 59-jährige Heike und der 61-jährige Ramforth-Wüllner haben die Familienfirma abgestoßen. Das Ende des Unternehmens ist es freilich nicht. Im Gegenteil. 

Das Aufatmen an allen drei Standorten war unüberhörbar, als der Verkauf am Dienstag dieser Woche verkündet wurde. Mit Hassia, so der Tenor, kann es nur besser werden.

Dirk Hinkel, seit 2002 in 5. Generation am Ruder der Hassia-Gruppe, hat mehrfach bewiesen, dass er es versteht, sich Unternehmen und Marken einzuverleiben, ohne dass sie Schaden nehmen. 2005 erwarb er GlashägerMargonThüringer Waldquell sowie Vita Cola, erlaubte ihnen wieder mehr Eigenständigkeit und führte sie mit lokalen Managern vor Ort zurück auf den Erfolgsweg. 2007 arrondierte er seine Apfelwein-Interessen mit der Kelterei Höhl, später holte er Kumpf Fruchtsaft sowie 2013 Neu’s Fruchtsäfte. 2017 kaufte er für rund 20 Mio Euro Bionade, erstmals eine wirklich nationale Marke.

Die Radeberger Gruppe musste eingestehen, dass sie die 2009 noch für über 50 Mio Euro erworbene Perle nicht mehr auf Kurs brachte. Hinkel schon. Zusammen mit dem von Eckes-Granini gekommenen Gruppen-Marketingchef Stefan Müller und dessen kongenialer Bionade-Marketingleiterin Svenja Lonicer holte Hassia die Öko-Ikone in die Wachstumswelt zurück. 

Auch bei der jetzigen Übernahme liegt der Schwerpunkt auf den Marken. Die rund 80 Mio Füllungen große Hauptmarke Carolinen ist in Ostwestfalen (allerdings nur da) eine Macht, doch auch für den Beifang, Güstrower und Gaen­sefurther wird an Markenkonzepten gefeilt. Mehr Augenmerk als gewohnt werden Hassias für den Westen zuständiger Vertriebsgeschäftsführer Andreas Dietzel und sein Ost-Kollege Thomas Hess jedoch auf das B- und C-Markengeschäft legen müssen, das für einen wesentlichen Teil des Wüllner-Volumens steht. Wichtiger Kunde für u.a. Merkur ist Real, das jetzt bei Edeka und Kaufland aufgeht.

Hess und Dietzel bekommen bald Unterstützung. Schon auf der Betriebsversammlung Anfang der Woche ließ sich ein neuer Vertriebsgeschäftsführer blicken, der sich mit Sitz in Bielfeld um die Neuerwerbung (und deren Migration in den Hassia-Kosmos) kümmern soll. Hinkel holt sich Kompetenz an Bord. Sven Wortmann, bis vor einem Jahr noch Geschäftsführer beim Streckenlogistiker Trinks, davor lange Jahre als Einkäufer bei Dohle/Hit, wird jetzt erstmals auf die Herstellerseite wechseln. Schon seit ein paar Wochen läuft sich Wortmann hinter den Kulissen in Bad Vilbel warm. Im Januar legt er in Bielefeld los. Alfons Friedewald, der nach dem Abgang von Carsten Thomas Heß (inzwischen bei Dohrn & Timm) den Vertrieb der drei Wüllner-Betriebe anführte, soll an Wortmann berichten.  

Hinkel will sich Zeit lassen. 2021 soll Wüllner noch weitgehend unangetastet bleiben. Die Integration soll behutsam passieren. Ihm ist klar, dass der Zuwachs auf künftig 11 Standorte, 1.750 Mitarbeiter und über 30 A-Marken auch eine Anpassung der Struktur nach sich ziehen muss. So krönt sich Hinkel durch den Wüllner-Deal mit addiert 1,2 Mrd Litern (inkl. Süßgetränke) zwar zum Brunnenkönig von Deutschland, doch die Komplexität ist enorm.

Überraschung für Fritz-Kola: In den Händen von Bionade und Vita

Kein Interesse hegt die Hassia-Gruppe von jeher an Lohnfüll-Geschäften. Mitunter ein wesentliches Standbein der Wüllner Gruppe. Besonders Fritz-Kulturgüter-Chef Mirco Wiegert dürfte deshalb der Unterkiefer runtergefallen sein, als er vom Verkauf an Hinkel erfuhr. Wüllner ist sein größter Abfüller, in Güstrow und Gaensefurth werden reichlich Fritz-Produkte gefüllt. Nun geht der Partner ausgerechnet an Hassia, die mit Bizzl, Bionade und Vita Cola im engen Wettbewerb stehen. Hinkel beruhigt erst mal: Man werde selbstverständlich alle Kontrakte, alle Vereinbarungen und Pflichten übernehmen. - Und prüfen. 

Dazu zählt auch eine delikate Hinterlassenschaft von Ramforth-Wüllners zuweilen recht eigenwillgem Wirken: der gerichtsmassige Streit zwischen Wüllner und dem ehedem von seinem Schwiegervater mitgegründetem Petcycle-Verbund. Auch nach dem Ausstieg bei Petcycle Flaschen hat Wüllner offenbar Flaschen des Zweiweg Pools verwendet. Angeblich ist eine Summe von 600.000 Euro im Spiel. Nächster Gerichtstermin ist Ende Januar.      

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