Beim Kampf um die Deutungshoheit bei der ökologischen Bewertung von Einweg- und Mehrwegverpackungen sind die Fronten verhärtet wie Stahlbeton. Zurzeit wird heftig diskutiert, welcher der beiden Seiten eine Anfrage der Unionsfraktion und die Antwort der Bundesregierung mehr nutzen.
Welchen Spaltpilz auch immer die Einweglobby via Unions-Anfrage in die Mehrwegdiskussion treiben wollte – diesmal ist es missglückt. Den Mehrwegverbänden ist klar, dass das unökologische Hin- und Herfahren von Individualflaschen argumentativen Sprengstoff liefert. Die Einweglobby schoss via Unions-Fraktion auch froh ins Horn („Was unternimmt die Bundesregierung, um dem Trend zur Individualisierung bei Mehrwegflaschen zu begegnen?“), erhielt dafür aber lakonisch und kurz und knapp die Antwort: „Eine grundsätzliche ökologische Überlegenheit von Poolgebinden gegenüber Individualgebinden, welche als Annahme der Frage zugrunde zu liegen scheint, ist derzeit wissenschaftlich nicht belastbar.“
Mit dieser nicht weiter erläuterten Aussage war am Ende bis auf die Individualverwender niemand richtig glücklich. Sie ist fettige Luft auf die Gebetsmühlen der neuen deutschen Poolgesell- bzw. -genossenschaften GeMeMa und MPB, die seit zwei Jahren für die Abkehr von Individual- und für eine Zukunft mit Poolgebinden trommeln. Und auch die Einweglobby/Unionsfraktion muss erst einmal den Ball flach halten.
Der Elefant im Raum: Wann kommt die neue Ökobilanz?
Aus Kreisen des Präsidiums des Deutschen Brauer-Bundes (in dem durchaus Dosenverwender sitzen) heißt es, man verfolge die Dispute und politischen Einflussversuche beim Thema Einweg/Mehrweg mit gemischten Gefühlen. Selbst auf Seiten der Dosenhersteller bemühen sich die Verantwortlichen um Schadensbegrenzung. Doch die Fronten sind verhärtet: Die Grünen plädieren im Gleichschritt mit Deutscher Umwelthilfe (DUH) und Mehrweglobbyisten für eine Sonderabgabe („Lenkungsabgabe“) auf Einweg-Getränkeverpackungen. Die Gegenseite verweist auf die monströse Artenvielfalt im Mehrwegbereich, Transportwahnsinn und CO2-Ausstoß. Verzweifelt fordern Einwegverbände seit Jahren eine neue Ökobilanz. Doch die vermag die Mehrweg-Lobby bis heute zu verhindern.
Allein beim Bier habe der Anteil an Individualflaschen 2017 schon bei 42% gelegen, , so die Union in ihrer parlamentarischen Anfrage. Was einige aus den Reihen des DBB-Präsidums in Zweifel zogen und eigene Verbandsberechnungen zitierten: 20 bis 25%.Und dann wiederholte die Union noch die in der Tat brandheiße Forderung nach einer neuen Ökobilanz – auch wenn es textuell sauber verbrämt wurde: „Ein (...) Vergleich der ökologischen Gesamtwirkungen unterschiedlicher Getränkeverpackungen (...) scheint daher dringend geboten. Die Entwicklungen im Bereich der Getränkemehrwegverpackungen ist hinsichtlich der bisher häufig postulierten ökologischen Vorteile neu zu beurteilen“.
Union fordert eine neue Ökobilanz –
nachdem sie nicht mehr in der Regierung sitzt
Im Frühjahr 2020 hatte der (seinerzeit noch schwarz-rote) Bundestag dem Umweltministerium auf Antrag der CDU 400.000 Euro für eine neue „Ökobilanz“ für Getränkeverpackungen überwiesen – ein vergiftetes Geschenk (INSIDE 875). INSIDE-Recherchen ergaben schnell: Das Projekt war mit jenen 400.000 Euro derart unterfinanziert, dass gar keine neue Ökobilanz draus werden konnte. Wider mal nicht: Zuletzt hatte 1995 das dem Umweltministerium unterstellte Umweltbundesamt (UBA) eine Ökobilanz erstellen lassen; sie wurde im Jahr 2000 angepasst und 2002 (ergänzt um perspektivische Berechnungen) nochmal aufgelegt. 2010 präsentierten Beverage Can Makers Europe (BCME) eine von ihnen beauftragte IFEU-Studie, die adhoc von der Mehrwegseite zerrissen wurde, ebenso wie Anfang 2014 eine von der Deutschen Ernährungsindustrie und dem Handelsverband bezahlte Deloitte-Untersuchung. 2019 wurde dem IFEU – Institut für Energie- und Umweltforschung dann nochmal die zweifelhafte Ehre zuteil, von der DUH wegen eines Gutachtens einer Ökobilanz zu Getränkekartons und Mehrwegflaschen als „Musterbeispiel für Greenwashing“ abgewatscht zu werden.
Artikel aus INSIDE 909