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#928

Liebesgrüße aus Shandong

Stress um die PPWR: Was will Europa – und was nicht?

„Der Kommissions-Vorschlag sieht vor, dass jede Verpackung gekennzeichnet sein muss. Diese Information muss dauerhaft angebracht sein. Ablösbare Papier-Etiketten ... können diese Bedingung erfüllen. Vorausgesetzt, sie sind verfügbar, so lange die Flasche im Umlauf ist. Es ist aber nicht notwendig, die Information in die Flasche einzugravieren... Das Pfandsystem in Deutschland ist ein Erfolg. Die Kommission ermuntert auch andere Mitgliedstaaten und Wirtschaftszweige, solche Systeme einzuführen.“ Die EU-Kommission am 1. Juni 2023. Es geht dabei aber nur um den aktuellen Text-Vorschlag. Die PPWR kann am Ende auch anders formuliert werden.

Die jüngste konzertierte Aktion vom Deutschen Brauer-Bund und anderen Verbänden in Sachen Europäischer Verpackunsverordnung endete seltsam unrund. Was daran lag, dass Brüssel ziemlich rumeierte. Aber auch daran, dass in Deutschland nicht alle mitmachten.

Die Befürworter (und Nutzer) des deutschen Mehrwegsystems haben Angst vor einer EU-Verpackungsverordnung, die ein europaweites Mehrwegsystem installieren möchte. Das klingt nicht nur paradox, das ist es auch.

Am 26. Mai 2023 schickten der Deutsche Brauer-Bund (DBB), der Verband Pro Mehrweg, der Bundesverband GFGH und der Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels ein ziemlich harsches Schreiben an die EU, und zwar so, dass es jeder mitbekam, auch BILD, bei der das Schreiben reflexhaft Angst vor dem Untergang des Abendlandes auslöste. Von einem „drohenden Kollateralschaden für die umweltfreundlichen Mehrwegsysteme“ in Deutschland war im Papier die Rede, sollte die europäische „Packaging and Packaging Waste Regulation“ (PPWR) in der geplanten Form umgesetzt werden. Über den Rumor hinter den Kulissen hatte zuerst INSIDE vor zwei Monaten berichtet (INSIDE 926).

Grob zusammengefasst werden bei der Neufassung der PPWR, die in Brüssel gerade den parlamentarischen Prozess durchläuft und vielleicht schon Ende dieses Jahres die letzten Hürden im Ministerrat nimmt, mehrere Claims in puncto Mehrweg abgesteckt: u.a. die verpflichtenden Mehrwegquoten für Hersteller und Handel, der Aufbau zentraler Mehrwegsysteme in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und die Reduzierung von Leerraum beim Transport von Verpackungen.

Außerdem – und darauf schossen sich Ende Mai DBB und BILD gemeinsam ein, fordert die EU via PPWR auch noch eine „dauerhafte“ Kennzeichnung von Flaschen bzgl. ihrer Entsorgungseigenschaften. Also: nicht nur mehr Etiketten? Milliarden neuer Flaschen, die erstmal von irgendwem hergestellt werden müssten und dann die alten bewährten Bottles aus dem Markt kickten?

Für Aufregung war gesorgt, und man muss sagen: Bei der EU tat man daraufhin nicht viel, um die Panik zu entkräften. Zwar konterte am 1. Juni der bei der EU für Verpackungsfragen zuständige Policy Officer Wolfgang Trunk das DBB-Schreiben mit dem Versprechen, es sei auf EU-Seite weder daran gedacht, Papieretiketten zu verbieten (und damit Milliarden bisheriger Mehrwegflaschen zu verschrotten) noch Getränkekisten abzuschaffen. Es sei auch nicht nötig, „die Information in die Flasche einzugravieren“. Doch schon wenige Tage später konterkarierte ein anderer EU-Sprecher dies im ZDF mit der Ankündigung einer Übergangsphase von vier Jahren. Kein Wunder, dass sich spätestens in diesen Tagen bei den betroffenen Verbänden der Eindruck verfestigte, dass in Brüssel viele nicht wissen, von was sie reden.

Oder: dass sie einen deutschen Sonderweg verhindern wollen?

Die Rolle der GDB

Sich mehr oder weniger krawallig in parlamentarische Prozesse einzumischen, gehört zu den fundamentalen Aufgaben von Verbänden. Etwas ungewöhnlch war in diesem Fall allerdings das Timing, alldieweil schon am 9. Mai  ebenfalls der DBB, seinerzeit noch zusammen mit Verband deutscher Mineralbrunnen (VDM), der Wirtschaftsvereinigung alkoholfreier Getränke (Wafg) und der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB), einen Brief an rund 30 Abgeordnete des Europäischen Parlaments geschrieben hatte – Lobbying der eher verschwiegenen Art. Auch dieser Brief liegt INSIDE vor. In ihm fordern die Verbände eher sachlich und trocken, die bewährten Kreislaufsysteme in Deutschland nicht durch die PPWR-Pläne  zu gefährden – verbunden mit einem Maßnahmenkatalog.   

Warum dann also ein vom Inhalt her ähnliches, aber im Tonfall deutlich krawalligeres Schreiben drei Wochen später? Bei dem GDB und VDM plötzlich nicht mehr an Bord waren?  
 
Nach außen hin gibt man sich gegenüber INSIDE bei allen Beteiligten bemüht, gar nicht erst Dissonanzen aufkommen zu lassen. Fakt ist aber auch: Wenn jemand in Deutschland und in der EU Poolmanagament kann, dann die Genossenschaft Deutscher Brunnen. Entsprechend sind Vertreter der GDB – allen voran der Ex-Freelancer Tobias Bielenstein, der laut INSIDE 2020 vor allem deshalb fest angestellt wurde, um „künftig u.a. Politiker in Brüssel über die Alternative Mehrweg aufzuklären“ (INSIDE 860) – in Sachen Mehrweg/Poolsysteme unterwegs.

Bedarf besteht ganz offensichtlich. Das zentralistisch regierte Frankreich etwa denkt auch bei der Mehrwegsteuerung zentralistisch, auch (oder gerade weil) es dort noch kein Mehrwegsystem gibt. Andere Länder warten nur darauf, wie Deutschland seine Strukturen verteidigt. Sollte die PPWR beschlossen werden (was nicht sicher ist, da auch die Einweglobby massiv Druck aufbaut), wird sie sich für die GDB noch als Business-Case erweisen. 

Artikel aus INSIDE 928