Während die EU in Sachen Mehrweg ihre Hausaufgaben, zumindest aus deutscher Sicht, gemacht hat (siehe Kasten nebenan), erweist sich die vor einem Jahr mit viel Gedöns gestartete „Mehrwegangebotspflicht“ für den To-Go-Bereich als zahnloser Tiger. Der Gesetzgeber hat sich auf halber Strecke verschluckt und müsste nachlegen. Aus Brüssel aber kommen nur wachsweiche Signale.
Es ist ein mühsames Business mit miesen Margen. Dabei hatten die Rechenkünstler zu Anfang 2023 noch die Rechenschieber angeworfen: 2,8 Mrd Heißgetränke-Portionen in Plastikbechern, 4,3 Mrd Einwegteller, 1,8 Mrd Einwegbestecke – wenn auch nur 10 % dieser Menge die Gastronomie in Mehrweggebinden verließen, was für ein Umwelt-Profit. Und was für ein Geschäft.
Von der Euphorie der Anfangszeit ist heute nichts mehr zu spüren. Gelernte Entsorger wie Interseroh oder Remondis hatten früh in Spüllogistik investiert (Remondis u.a. mit McDonalds als Partner – INSIDE 921), überall sprossen fesche Insellösungen aus dem Boden: Edeka, Tchibo, Rewe. Wie seinerzeit beim Bier hat es die Branche verpasst, einheitliche Pools zu formulieren. Ein illustres Beispiel dafür lieferte dieser Tage die Ankündigung des Mehrweganbeiters Vytal, künftig im Away-From-Home-Segment mit PepsiCo zu kooperieren. Die neuen Vytal-Pepsi-Cups werden zunächst über Pizza Hut und andere QSR-Partner (Quick-Service-Restaurant-Partner) von PepsiCo in Deutschland zugänglich gemacht – Verbraucher können sie dann an einem der Vytal-Partnerstandorte in Deutschland zurückgeben. Eine famose Insel-Lösung – und dann?
Entgegen allen Hoffnungen der Branche deckt Mehrweg bei to go heute nicht 10%, sondern maximal 3% ab. Tendenz: nicht weiter steigend. Die Probleme sind hausgemacht. Es gibt keinen Vollzug der Verordnung; die meisten Gastronomen haben erkennbar wenig Lust auf den Mehraufwand und üben stillen Boykott. Kunden bekommen von alldem nichts mit, werden nicht informiert und schon gar nicht eingeladen. Und wenn doch, stolpert der Verbraucher von einer Insellösung in die nächste.
Auch politisch steckt to go-Mehrweg in der Gastronomie im trüben Regelungs-Nirwana fest. Zwar wird sich die EU in ihrer neuen Packaging & Packaging Waste Regulation (PPWR), die Ende April vom EU-Parlament final und damit gerade noch rechtzeitig vor den neuen EU-Wahlen im Juni verabschiedet werden soll, auf eine Mehrwegpflicht für die Gastronomie inhouse einigen. Bei to go aber wird es nur auf eine Mehrwegangebotspflicht hinauslaufen – mit den bekannten Ergebnissen. Verbote, etwa für Einweg, dürfen die EU-Mitgliedsländer nicht an der EU vorbei beschließen.
Bleibt am Ende nur der Tübinger Weg? Die dort verordnete Abgabe von 50 Cent (!) pro Einwegbecher und 20 Cent für Einwegbesteck wird derzeit noch durch eine Verfassungsbeschwerde einer McDonalds-Franchiserin (gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig) vor dem BGH in Frage gestellt. Konstanz, Heidelberg und Klein Machnow wollen nach derzeitigem Stand 2025 ihrerseits Einwegsteuern auf den Weg bringen. Die meisten Brancheninsider sind sich einig: Erst wenn im to go-Segment Einweg flächendeckend besteuert wird, könnte die Wende funktionieren.
Sammeln, waschen, stapeln: Wer kennt sich da noch aus?
Bis dahin arbeiten sich die wenigen ernsthaften Initiativen am Handling der bescheidenen Mehrweg-Mengen ab. Welch fulminate Komplexität hinter der Erstauslieferung, Ausgabe, dem Einsammeln, Waschen, Zurückführen und dem Clearing der Pfandsätze für Mehrweggeschirr steckt, erfährt seit einem Jahr die u.a. von Ex-Carlsberg Deutschland-Chef Frank Maßen gegründete Initiative Reusable2go, mittlerweile eine GmbH. Die mit sehr großen (und schweren) Vorschusslorbeeren aus nahezu allen maßgeblichen Verbänden (GFGH, Pro Mehrweg etc.) ausstaffierte Initiative hat in einem Testmarkt in Mainz und Wiesbaden 85 Vertriebsstellen für gechipte kooky-Becher unter Vertrag. Kooky ist ein weiterer Anbieter von Mehrwegsystemen und hat zudem 40 Rücknahmeautomaten platziert. Bei den 85 Vertriebsstellen handelt es sich im wesentlichen um Bäckerei-Filialen. Gewaschen werden die Becher bei der Heag FairCup GmbH, die ein Mehrwegpfandsystem in Darmstadt und der Rhein-Main-Neckar-Region aufbauen will.
Indes hat die schwedische Duni Group (mit Sitz in Malmö), nach eigenen Angaben Marktführer für Speise- und Verpackungslösungen, die Mehrheit (50,02%) an der deutschen Relevo GmbH erworben. Das Start-up mit Sitz in München war 2022 Teilnehmer im DICA Batch #7. Es stellt seinen Gastro-Partnern Mehrweg-Geschirr zur Verfügung, das von den Kunden durch Scannen eines QR-Codes auf dem MW-Geschirr kostenfrei ausgeliehen wird. Bringt der Kunde das Geschirr zurück, wird das Geschirr erneut gescannt und die Leihe beendet. Die Übernahme unterstreiche „erneut die Bedeutung der strategischen Partnerschaft und des gemeinsamen Ziels, Gastronomie-Partnern die besten nachhaltigsten Produkte und Services für To-Go Verpackungen anzubieten“, heißt es ziemlich blumig. Duni wolle„Softwaresysteme bereitstellen, die wiederverwendbare Lösungen fördern und niedrige Emissionen sichern“. Eine Abkehr von der Insel sieht anders aus.
Frieden mit der PPWR
Die Eckpunkte der künftigen europäischen Packaging & Packaging Waste Regulation (PPWR) stehen. Ob sie am Ende von EU-Kommision, EU-Ministerrat und EU-Parlament durchgewunken werden, ist nicht sicher, gilt aber als wahrscheinlich. Erstes Resümee: In Sachen Mehrweg bleibt wohl alles, wie es war.
Ab 1.1.2030 gilt eine Mehrweg-Angebotsquote von 10% für den Handel ...
- ... es sei denn, im jeweiligen EU-Mitgliedsland werden bis Anfang 2026 65% aller Einwegverpackungen recycelt – und zwar pro Materialart.
- Ob Deutschland diese Quote zum Stichtag 1.1.2026 erreicht, gilt unter Experten als strittig.
- Sollte es zu einer Mehrweg-Angebotsquote kommen, gilt die „Lex Lidl“, wonach Pools von miteinander verwobenen bis zu fünf Unternehmen die Mehrwegquote insgesamt erfüllen müssen.
- Es ändert sich also auch im Härtefall (fast) nichts – nur für Aldi. Wohl auch deshalb geht der Discounter in Deutschland zurzeit in Pilotprojekte mit Mehrweggetränken (S. 8 ff).
- Es wird eine Art Bestandsschutz für bestehende Mehrwegsysteme ausgesprochen, ergänzt um eine merkwürdige Auflage: Individual-Mehrwegflaschen und solche aus geschlossenen Pools (v.a. GDB) müssen per QR-Code auf den Etiketten Tracking ermöglichen und Verbraucherinfos bereitstellen. Offene Pools (v.a. die der Brauer) sind davon explizit ausgenommen.
Änderungen am PPWR-Entwurf sind noch möglich, theoretisch auch ein kompletter Stopp.
Artikel aus INSIDE 946