Die EU-Abstimmung zur neuen PPWR und damit auch zur Zukunft von Mehrweg- und Einwegsystemen in Deutschland war nur ein Zwischenschritt. Die Pläne von Steffi Lemke wurden abgewatscht, vom Tisch sind sie noch nicht – das Szenerio von Aldi-/Lidl-Insellösungen ist es leider auch nicht.
Erstaunlicherweise ohne erkennbare Abstimmung mit Brüssel doktort die Bundesregierung – insbesondere die grüne Umweltministerin Steffi Lemke mit ihrem Stab – schon lange an einem neuen Verpackungsgesetz herum. Ihre zentralen Forderungen sorgen dafür, dass sich bei den maßgeblichen Verbänden regelmäßig die Nackenhaare aufstellen: Vor allem der Vorstoß einer allgemeinen Rücknahmepflicht für Mehrweg-Verpackungen und die Mehrwegangebotspflicht für den Handel ließen schlimmste Befürchtungen gedeihen – etwa die, dass die großen Einweg-Player Aldi und Lidl eine Mehrwegpflicht mit eigenen Gebinden kontern könnten. Zumindest für den Fall, dass es bei der in Deutschland lange praktizierten qualitativen Rücknahmepflicht bliebe.
Nun lässt sich wohl sagen: Die EU hat Lemkes dolle Nummer erst mal auf Eis gelegt. Nur: für wie lange?
Keine Mehrwegpflicht ab 85 Prozent?
Mittwoch vergangener Woche: Das EU-Parlament hechelt in einer an Vieh-Auktionen erinnernden Sitzung in 1. Lesung unzählige Anträge (im Vorfeld waren es allein rund 4.500 Änderungsanträge) zur neuen Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) durch, darunter auch sehr viele zum weiteren Handling von Einweg- und Mehrweg-Getränkeflaschen, dem Aufbau von Mehrwegsystemen in den europäischen Mitgliedsstaaten und der Deklaration von Mehrweggebinden. Viele Anträge sind aus politischem Kalkül gestellt, andere aus Unwissen, viele widersprechen sich. Beschlossen werden sie trotzdem, was den groben Webfehler dieses Tages charakterisiert. Am Ende werden viele Beschlüsse an die Ausschüsse zurückgegeben.
Einer davon spielt für die Zukunft des deutschen Mehrwegsystems eine entscheidende Rolle: Fällt die Mehrwegpflicht tatsächlich, wenn ein Mitgliedsland (in dem Fall also Deutschland) im Gesamtmarkt mindestens 85% aller Einweg-PET-Flaschen und Getränkedosen recycelt? Oder war das mit den 85% doch anders gemeint? Dann lieber mal: zurück in den Ausschuss!
Rücknahme ja – aber wann, wer und was?
Auch die allseits befürchtete allgemeine Rücknahmepflicht für Mehrweg-Gebinde ist erst mal vom Tisch – bis voraussichtlich am 18. Dezember der Rat darüber entscheidet. Dann geht das Verfahren in den Trilog – eine Art Vermittlungsausschuss aus Vertretern von Kommission, Parlament und Ministerrat. Wieder Ausschüsse, wieder viele Beratungen. Bis Februar, so der sehr ehrgeizige Plan, soll die PPWR das Parlament ein zweites Mal passieren. Dann sind EU-Wahlen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Gesetzesvorhaben auch mal Neuwahlen überdauern, ist das in Brüssel nicht möglich. Die Schmach einer nicht und damit womöglich nie mehr beschlossenen PPWR will man sich dort um jeden Preis ersparen.
Viel Zeit bleibt nicht. Wenn auch hierzulande die maßgeblichen Lobbyisten auf heißen Stühlen schwitzen und ihre EU-Parlamentarier bearbeiten: Dem ein oder anderen ist derzeit nicht klar, ob die Botschaft, was alles auf dem Spiel steht, bei der Politik angekommen ist. Wie schnell EU-Entscheidungen zum Bumerang für das deutsche Mehrwegsystem werden können, zeigte sich letzte Woche bei der Frage der Deklaration von Mehrweggebinden. Im Entwurf der PPWR stand dort sehr kryptisch etwas von nicht entfernbaren Markierungen – hätte im schlimmsten Fall bedeutet, dass die deutschen Getränkehersteller sämtliche in Umlauf befindlichen Flaschen in die Tonne hätten kloppen können. Soweit kommt es nun wahrscheinlich doch nicht. Die Aufregung war dennoch groß, weil die meisten das Gefühl beschlich, dass man diesmal einfach nur Glück hatte.
Steffis Gestaltungsraum
Eine der zentralen innenpolitischen Fragen lautet derzeit: Wie groß ist bei allem EU-Rumor noch Steffi Lemkes nationaler Gestaltungsraum? Eine Ampelregierung (so lange es sie noch gibt; nach dem 8. Dezember sind die meisten Ministerinnen und Minister zwei Jahre im Amt und haben damit ihre Pensionsansprüche gesichert) könnte am Ende bei Mehrweg- und Rücknahmepflicht noch mal querschießen. Die zweite Baustelle für Lobbyisten der Getränkebranche. Es brennt lichterloh. Und die Politik? Löscht mit Nebelkerzen.
Artikel aus INSIDE 940