Fein orchestriert sollten diese Woche die abschließenden Verhandlungen zur Zukunft des Oettinger-Werkes Gotha über die Bühne gehen. Doch Chor und Orchester sind verschnupft. Bis zuletzt gibt es Misstöne – und die kommen nicht nur aus der Oettinger-Führungsspitze, wie INSIDER erwartet hatten. Auch beim mutmaßlichen Käufer der 1,8 Mio hl Kapazität großen Ost-Fabrik fideln die Geiger mangels Dirigent aneinander vorbei.
Der brachiale Erfolg ihrer Retro-Marke Spezi (die dieses Jahr ohne jeden Marketing-Etat locker auf eine Mio hl zusteuert) stellt die Paulaner-Granden vor ein Luxus-Problem: Zeitweise verzichtete Paulaner auf Biersorten (2020 auf das Oktoberfestbier), um Flaschen- und Abfüllkapazitäten sicherzustellen (INSIDE 893). Zudem beraubt eine komplett ausgelastete Brauerei die Schörghuber Gruppe um eine strategisch wertvolle Position. AB Inbev (oder ein anderer künftiger Spaten- und Löwenbräu-Besitzer) muss die Brauerei an der Marsstraße eines Tages räumen. „Münchner Bier“ darf man nur im Stadtgebiet herstellen. Augustiner und Hofbräu stehen nicht zur Verfügung. Paulaners Faustpfand mit dem Abfüll-Tiger am Stadtrand ist eine zahnlose Mieze, wenn dort keine Kapazitäten mehr frei sind. Also dann: Gotha?
Im fein austarierten Patt bei der vierköpfigen Paulaner-Führungsriege – wo niemand so richtig was zu entscheiden hat, weil am Ende doch Co-CEO Florian Schörghuber und Mutter Alexandra auf der Kriegskasse sitzen – soll es in der Causa Gotha zuletzt heftig geknirscht haben. Techniker und CEO Jörg Lehmann (nebenbei Präsident des Deutschen Brauer-Bundes), Vertriebs-Gf Raphael Rauer und Finanzchef Sebastian Strobl gelten eher als Befürworter der großen Gotha-Lösung, Marketing- und Gastro-Gf Andi Steinfatt als ihr Gegner. Ob die „Brauchtums-Haubitze“ (INSIDE 703) dabei mit dem Ost-Standort per se hadert oder mit einem künftigen Ost-Absender der Münchner Kultmarke (die diese Woche vor dem Münchner Landgericht in einem Markenstreit gegen die Brauerei Riegele obsiegte - S. 7), ist nicht überliefert. Sicher ist nur: Die Causa Gotha sorgt bei den Lehmann Brothers bis zuletzt für Familienkrach.
Ändern wird es wohl nichts mehr. Die Übernahme der Riesenbude in Thüringen durch die Bayern schien bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe am Mittwoch trotz aller internen Querelen beschlossene Sache; womöglich wird sie noch vor der seit längerem gültigen Deadline am 15. Oktober verkündet. Ordentlich Druck in den Kessel kam zuletzt wie berichtet (INSIDE 910) durch die Bestellung des Sanierers Michael Giesswein zum Co-Gf in Oettingen – ein von den Banken forcierter Schritt, die in einem Parforceritt noch die Gotha-Krümel versilbern wollen. Auch hier gilt der Familienfrieden als gestört; Oettinger-Chefin Pia Kollmar hätte das Vermächtnis ihres verstorbenen Bruders Dirk Kollmar womöglich lieber ganz geschlossen. Dabei gab es Interessenten genug: Logistiker klopften an, Brauer, Abenteurer.
In der thüringischen Landespolitik wurden gar MBO-Optionen diskutiert, nach dem Motto „Der Osten bleibt hier“. Am Ende taxierten INSIDER den Kaufpreis vor Ort auf eine mittlere einstellige Millionensumme – für Paulaner eine Investition der Kategorie „Schnäppchen“, für Pia K. trotz mancher Widerstände ein unterm Strich kostengünstiger Deal: Wie berichtet (INSIDE 911) hat Oettinger bereits 14 Mio Euro für Abfindungen eingestellt. Wenn alles gut geht, kann sich Pia K. das Geld jetzt sparen.