Die Getränkebranche klagt über Fachkräftemangel - verschenkt aber offenkundig Potenzial. Weibliche Führungskräfte gibt es viel zu wenige. Beispiel Get.In Kongress 2022: Rund 350 Teilnehmende, davon 20 Frauen. Der Getränkevertrieb ist weiter Männersache. Warum ist das so? Und wann ändert sich das endlich?
INSIDE hat sich dazu mit Katrin Schilz (Paulaner), Julia Klocke (GFGH Klocke), Judith Trinkewitz (AB Inbev) und Jana Zumdiek (GFGH Zumdiek) unterhalten.
Interview mit Katrin Schilz
Als Verkaufsdirektorin GFGH bei Paulaner sind Sie genau da unterwegs, wo nach wie vor wenige Frauen arbeiten, oder?
Katrin Schilz: Der Bierbranche eilt der Ruf voraus, dass sie einen Männerüberschuss hat, und in weiten Teilen stimmt das auch.
Dennoch freut es mich, dass ich bei Paulaner in den letzten Jahren immer häufiger Frauen antreffe, vor allem unter den Brauerinnen, aber auch im Außendienst. Die Tendenz ist erfreulicherweise steigend. Diesen Eindruck habe ich auch bei branchenüblichen Veranstaltungen.
Der Vertrieb ist trotzdem weiterhin ein schwieriges Feld für Frauen...
Katrin Schilz: Den Vertrieb muss man bei der Frauenquote gesondert betrachten. Laut Statista liegt die Bewerberquote für einen Beruf im Außendienstbereich deutschlandweit bei nur 15 Prozent. Wir bewegen uns bei Paulaner knapp über dem branchenübergreifenden Durchschnitt.
Woran könnte das liegen?
Katrin Schilz: Aus dem Sales-Job-Report werden als mögliche Gründe unter anderem wenig flexible Arbeitszeiten, erhöhte Reisetätigkeit oder auch weniger Karrierechancen im Vergleich zu männlichen Kollegen angeführt. Hier ist meiner Meinung nach nicht nur die Bierbranche gefragt, sondern die komplette Industrie, den Vertrieb attraktiver für Frauen zu gestalten. Digitalisierung, flexiblere Arbeitsmodelle, Girls Day, Hochschulmarketing, Diskussionen und Artikel wie diesen zum Thema „Frauen im Getränkevertrieb“ können dazu beitragen, den Frauenanteil in der Getränkebranche zu erhöhen.
Wie erleben Sie die Bierbranche persönlich als eine der (immer noch wenigen) Frauen? Hatten oder haben Sie Probleme wegen Ihres Geschlechts oder tritt man Ihnen ausnahmslos offen entgegen?
Katrin Schilz: Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mich seit 21 Jahren in der Getränkebranche wohlfühle und mit viel Leidenschaft im Vertrieb arbeite. Persönlich bin ich aber eine absolute Befürworterin von diversen beziehungsweise heterogenen Teams, da diese für mich erfolgreicher sind.
Wie kommen Sie zu diesem Urteil?
Katrin Schilz: Die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen, die jeder einzelne einbringt, führen zu kreativen, konstruktiven Optionen und besseren Lösungen. Diversität ist für mich vielfältig von Alter, Geschlecht, sozialer und nationaler Herkunft bis hin zu den vielen Aspekten einer Persönlichkeit. Daher gehören unter anderem für mich auch Frauen in erfolgreiche Vertriebsteams. Über die letzten Jahre habe ich durch Einstellungen von Frauen mit dazu beigetragen, dass sich die Frauenquote im Vertrieb von Getränken erhöht hat. Ich freue mich immer über weitere weibliche Unterstützung in der Getränkebranche, sowohl auf Händler- und als auch auf Industrieseite.
Interview mit Julia Klocke
Sie schmeißen beim 25 Mitarbeiter großen Klocke Getränkefachgroßhandel in Lemgo den Vertrieb alleine. Täuscht es oder haben Sie dabei in Ihrem Berufsalltag fast nur mit
Männern zu tun?
Julia Klocke: Nein, das stimmt schon so. Eine erfreuliche Ausnahme ist Johanna Redmer (Regionalverkaufsdirektorin bei Krombacher), sie ist ein tolles Beispiel für starke Frauen im Vertrieb.
Wie erleben Sie diesen Zustand?
Julia Klocke: Ich habe grundsätzlich kein großes Problem damit und komme gut zurecht. Aber in manchen Betrieben ist es sicher noch schwierig, sich als Frau durchzusetzen. Womöglich ist das auch eine Generationenfrage, gerade bei älteren Entscheidern gibt es wohl noch das ein oder andere Vorurteil.
Wie war es bei Ihnen persönlich?
Julia Klocke: In unserem Familienunternehmen war, als sich die Frage stellte, ganz klar, dass ich mich um den Vertrieb kümmere. Ich werde ernst genommen und wüsste mich auch zu wehren, wenn das mal nicht so wäre.
Würden Sie sich mehr Kolleginnen in der Branche wünschen?
Julia Klocke: Klar wäre das schön. Ich denke, das wird auch immer mehr kommen. Frauen können Teams neben ihrer Fachkompetenz auch viel positive Energie geben.
Interview mit Judith Trinkewitz
Bei AB Inbev sind Sie im Vertrieb als National Account Manager tätig. Der Frauenanteil Ihres Unternehmens in Deutschland ist mit
26 Prozent vergleichseweise hoch für die Branche...
Judith Trinkewitz: Ja, ich arbeite auch in meinem Bereich mit Frauen zusammen. Aktuell haben wir über 30 Frauen, die unsere Produkte verkaufen. Tendenz steigend.
Wie erklären Sie sich, dass Ihr Unternehmen deutlich mehr Frauen an Bord hat als andere?
Judith Trinkewitz: Ich habe von Beginn an das Vertrauen gespürt, dass jederzeit Fairness und Gleichberechtigung herrschen – ganz gleich welchem Geschlecht man angehört. Support-Programme wie „Women in Sales“ liefern weiteren Rückenwind. Auch wenn es darum geht, möglichen Vorbehalten auf Kundenseite gegen Vertriebskolleginnen entgegenzuwirken.
Es gibt aber ja auch andere Hürden, die es Frauen schwerer machen als Männern...
Judith Trinkewitz: Das stimmt. AB Inbev hat jüngst die betriebliche Elternzeitregelung bei Geburt und Adoption weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus erweitert, mit zusätzlicher freier Zeit für die Betreuenden und noch flexibleren Arbeitszeiten bei der Rückkehr in den Job. Von der Möglichkeit Teilzeit zu arbeiten, Homeoffice oder Job Sharing profitieren alle Geschlechter, was bei der Wahl des künftigen Arbeitgebers ausschlaggebend sein kann.
Interview mit Jana Zumdiek
Sie kümmern sich im familieneigenen 150 Mitarbeiter großen Getränkefachgroßhandel Zumdiek, Harsewinkel, in leitender Position um Personal und Einkauf. Beschäftigen Sie bei sich auch Frauen im Vertrieb und wieso arbeiten Sie selbst in einem anderen
Bereich?
Jana Zumdiek: Ich habe es selbst ausprobiert und der Vertrieb war nicht so meins. Wir hatten zwar schon Frauen, aktuell ist der Vertrieb aber ausschließlich mit Männern besetzt. Das liegt ganz einfach daran, dass die meisten
qualifizierten Bewerber Männer sind und nicht daran, dass wir keine Frauen einstellen möchten.
Der Frauenanteil im Vertrieb ist tatsächlich sehr gering, nicht nur in Ihrer Firma...
Jana Zumdiek: Ja, schauen Sie sich die letzte BV-GFGH-Tagung an oder die Podiumsdiskussionen bei Branchenveranstaltungen: fast nur Männer. Und als mein Opa unser Unternehmen gegründet hat, war das Geschäft mit Getränken auch Männersache. Weitgehend ist es in der Zwischenzeit leider so geblieben.
Glauben Sie, es tut sich etwas?
Jana Zumdiek: Ja, davon gehe ich schon aus. Mehr weiblicher Einfluss wäre auch definitiv gut für die Branche.
Was stimmt Sie so optimistisch, dass es in die richtige Richtung geht?
Jana Zumdiek: Ich glaube, bei den Jungen ist das gar kein so großes Thema mehr. Aber für so manches Urgestein ist eine Frau im Vertrieb schlicht nicht vorstellbar, sie können mit dieser Vorstellung wenig anfangen. Ich hoffe, dass sich das in den kommenden Jahren ändert.
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