Anfang der Woche ließ Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Katze aus dem Sack. Ihr weitgehend ohne Branchenexpertise entstandener Entwurf zu einer Novelle des Verpackungsgesetzes ist purer Sprengstoff für den bestehenden Getränkemarkt.
Mit Steffi Lemke ist im Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz BMUV ein neuer Stil eingezogen. Das Ministerium verzichtet weitgehend auf den Austausch mit Industrie und Handel. Konsultationen fanden zuletzt immer seltener statt. Dabei ist dem Ministerium durch den Tod von Thomas Schmid-Unterseh im Frühjahr letzten Jahres viel Fachkompetenz verloren gegangen. Leiter des Referats T II 5 „Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen, Wertstoffrückgewinnung“ ist seither der Entsorgungsspezialist Dr. Michael Siemann.
Für die überraschte Getränkebranche sieht der BMUV-Gesetzesentwurf, der am Dienstag vorab in den Mailboxen der Verbände landete, fundamentale Eingriffe vor (nur nicht eine Zwangsabgabe auf Einweg). Und befindet sich dabei im Einklang mit den Plänen der EU-Kommision, die derzeit an einer europaweiten Verpackungsrichtlinie, der sogenannten „Packaging & Packaging Waste Regulation (PPWR)“, bastelt. Folgende Veränderungen will das BMUV nun für Deutschland umsetzen:
1. Mehrweg-Angebotspflicht für Aldi und Lidl
„In jedem Geschäft mit einer Verkaufsfläche von mehr als 200 m² soll es für Wasser, Bier, alkoholfreie Getränke, Saft und Milch jeweils auch mindestens ein Mehrwegprodukt geben.“
Künftig müssen Discounter Mehrweg einlisten. Zwar ohne feste Mengenquote, wie sie die PPWR vorsieht, aber angesichts der verknüpften Leergut-Rücknahme-Pflicht (siehe unten) könnten die Sortimente rasch anwachsen.
Während Lidl mit Günther Jauch noch eine millionenschwere Kampagne gegen Mehrweg und die Vorteilhaftigkeit der eigenen Einweg-Kreisläufe fährt, stellt sich Aldi Süd bereits auf neue Bedingungen ein. „Anfang 2024 beginnt die Prüfung der Skalierbarkeit durch eine Projektphase, an der ausgewählte Filialen teilnehmen“, teilt Aldi- Pressesprecherin Linda van Rennings mit. Merkt aber an: „Eine flächendeckende Umstellung in Deutschland wäre ein sehr komplexes Vorhaben. Sie benötigt mehrere Jahre Vorlaufzeit, um entsprechende bauliche und technische Voraussetzungen zu schaffen. Zudem würde es sich um eine sehr kapital- und kostenintensive Maßnahme handeln.“ In Österreich ist Aldi da schon weiter: Die ersten 130 Outlets der Aldi-Tochter Hofer sind bereits mit Mehrweg- Rücknahmeautomaten (von Tomra) bestückt worden. Bisherige Artikel: Römerquelle 1-Liter, die Biere Gösser, Zipfer (beide Brau Union) und Stiegl sowie Coca-Cola 1 Liter.
Dazu gibt es bei Hofer auch Bio-Heumilch in MW. INSIDER unken, dass das BMUV für Deutschland auch mit Blick auf Aldi Milch in die Mehrwegpläne miteinbezieht. Die Kapazitäten für Mehrweg sind in der deutschen Molkerei- Landschaft sehr begrenzt. Eine Angebotspflicht stellt den LEH-Einkauf vor ein unlösbares Problem. Aldi ist da mit Hauslieferant Gropper und Unterstützung aus Österreich besser aufgestellt.
2. Rücknahmepflicht für alles Leergut
„Verkaufsstätten über 200 qm müssen künftig sämtliche Mehrweggetränkeverpackungen und zugehörige Kästen zurücknehmen“
In Lemkes Papier der Punkt mit den tiefgreifendsten Folgen. Bisher liegt die Rücknahme von Leergut, das Outlets nicht selbst führen, im Ermessen der Einzelhändler. Dadurch ergab sich eine gewisse “Disziplinierung“ des Verbrauchers. Shopper müssen aktuell damit rechnen, dass eine in Brandenburg gekaufte Wasserkiste nicht im Saarland abgeben werden kann. Und auch eine mit unterschiedlichen Flaschen zugestopfte Kiste wird nicht überall angenommen. Nach Lemkes Plänen aber bald schon.
Mehr Mehrweg (durch den Einstieg der Discounter) plus ungezügelte Leergutannahme – Streckenverleger sind sich sicher: Das Chaos in der Mehrwegwelt wird eskalieren. Soll es nach dem Willen der Politik vielleicht ja auch. Der Druck auf Individualleergut wird zunehmen, nur die Rückkehr zu standardisierten Poolflaschen (und evtl. auch Kisten) könnte Abhilfe schaffen.
3. Mehrweg für Out of Home
„Das seit 1.1.2023 verpflichtende Mehrwegangebot für Speisen und Getränke To-Go wird auf alle Materialien ausgeweitet.“
Eher am Rande schließt der Entwurf eine Lücke: Bisher musste nur für Kunststoff-Einwegbehälter eine MW-Alternative angeboten werden, was zu einem Boom bei Alu- Karton und Bambusverpackungen führte.
4. Kein Red Bull mehr in der Gastro?
„Beim Vor-Ort-Verzehr wird die Verwendung von Einwegverpackungen verboten.“
Die eher oberflächliche Erklärung des Gesetzesentwurfs lässt viele Fragen offen, die Referatsleiter Siemann an diesem Mittwoch gegenüber Branchenverbänden auch nicht zu beantworten vermochte. Dem Text nach wären in der Gastronomie beispielsweise Energydrinks nur noch in Mehrwegverpackungen erlaubt. Die allermeisten werden jedoch ausschließlich in Einweg gefüllt. Die Uhr tickt. Das neue Gesetz soll bereits ab 2025 (1.1. oder 30.6.) gelten. Noch ist Lemkes Papier nur ein Entwurf, an dem nun – kurz vor den parlamentarischen Sommerferien – noch im Detail gefeilt wird. Dabei kann jede kleine Nuance im Gesetzestext fatale Folgen für die Branche haben. Sollten die Discounter z.B. eine Kistenrücknahme verhindern können (was Lidl eine dreistellige Millionensumme für neue Leergutautomaten ersparen würde), könnte der Markt mit PET-MW-Sixpacks geflutet werden.
Für die Vollsortimenter der Edeka oder Rewe stellt sich nun ohnehin die Frage, ob sich ein breites Mehrwegsortiment noch lohnt. Als Abgrenzung zum Discount nun nicht mehr.
Abschließend wird der Entwurf in die Ressortabstimmung gegeben, wo jedes Ministerium Ergänzungen und Korrekturen vortragen kann. So könnten das neue Verpackungsgesetz und mit ihm die Getränkebranche zum Spielball von Koalitionsgeschacher werden.
Artikel aus INSIDE 929