Die Destillerie Franz Bauer in Graz ist 102 Jahre alt und seit vielen Jahren in Besitz der Familie Schlichte. Noch zum Jubiläum 2020 gab es reichlich Beifall. Jetzt wurde am 22. November der Insolvenzantrag eingereicht. Nicht nur wegen ausfallender Produktion, auch wegen verdrießlicher Verluste.
Die 100-Jahr-Feier von Destillerie Bauer war berauschend. Sie fiel zufällig mit dem 70. Geburtstag des Mannes zusammen, der die Firma seit 1987 führte, Hans-Werner Schlichte. Mutter Winifred, die ihren Sohn bis zur Einschulung „Putzi“ nannte, reiste vom westfälischen Steinhagen nach Graz an. Auch mit 93 immer noch voller Energie, rockte sie die Veranstaltung. Sohn Hans-Werner, firmenintern HWS genannt, wurde für sein Wirken dekoriert mit dem goldenen Ehrenabzeichen. HWS wiederum gab einer Brennblase der Mutter zu Ehren deren Namen. Die Welt war heil an diesem Tag und schien noch in Ordnung zu sein. Zumindest bei der Feier war noch nichts vom Schicksalhaften zu spüren, das 2020 bringen sollte.
Denn Ende 2020 endete nicht nur die seit 1967 währende Produktionspartnerschaft mit Jägermeister. Jägermeister war immer auch eine sichere Bank, wenn es im angestammten Geschäft der Obstbrände mal nicht so prall lief. Österreich war ein Relikt für Jägermeister, der letzte verbliebene Auslandsstandort der Wolfenbütteler, die einst auch in Dänemark oder Italien ihren Kräuterlikör herstellten. Seit 2021 gibt es Jägermeister nur noch aus den beiden deutschen Standorten in Wolfenbüttel und Kamenz bei Dresden, wo seit 1996 produziert wird.
Jägermeister zog nicht nur Ende 2020 die Produktion in Graz ab, wo laut INSIDERN vor allem Kleinflaschen (geschätzt 35 Millionen) vom Band liefen. Auch der Vertrieb der Kräuterlikör-Marke wanderte weiter – zu Liquid Spirits. Die Vertriebsfirma leitet ausgerechnet der ehemalige Bauer-Geschäftsführer Oliver Dombrowski. Nicht der letzte Schlag. 2020 zog auch Berentzen den Vertrieb seiner Marken Berentzen und Puschkin ab. Die Haselünner übernahmen in diesem Jahr den österreichischen Premium-Cider Goldkehlchen. Da lag eine Bündelung des Vertriebs nahe.
Schlussendlich wechselte auch Schwarze & Schlichte mit Three Sixty und Zamorra mit Licor 43 (in Deutschland mit Schwarze & Schlichte verbandelt) die Vertriebspferde. In Österreich ist Amber Beverages der Partner der Stunde. Das Ergebnis ist für HWS und Mama Winifred ein bitteres. In den Bekanntmachungen zur Insolvenz in Eigenregie wird Hans-Werner Schlichte jun. noch als Gf im Firmenbuch eingetragen behandelt; seit 18.10.2022 aber auch der Sanierer Ing. Mag. Karl Gerngroß.
Die Familie Schlichte hatte die Destillerie Bauer im Juli 1961 übernommen, weil der damalige Besitzer keinen Nachfolger hatte. In den 80er Jahren, als es nicht so gut lief in Graz, bat HWS seinen Vater, ihn dorthin zu entsenden. Er blieb bis jetzt. Die Insolvenzgläubiger (circa 105) erhalten innerhalb von zwei Jahren, vom Tag der Annahme des Sanierungsplans, eine Quote von 30%. Die Überschuldung beträgt 2,75 Millionen Euro.
Artikel aus INSIDE 916