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#893

INSIDE-Marken-Hitliste: Der 6-Millionen-Hektoliter-Fluch

Andechser & Co: Der dunkle Rohstoff-GAU

Es klingt wie Hohn: Trotz engmaschiger Monitoring-Systeme, trotz ausreichend Testmöglichkeiten und trotz einer Selbstverpflichtung der Branche zu gewissenhafter Prüfung ihrer Produkte konnte eine Mälzerei über mehr als ein halbes Jahr lang mit Nitrosaminen belastetes Malz verkaufen, ohne dass es jemandem auffiel. Auch nicht den Brauern, die damit Bier herstellten und in den Markt brachten. Der Vorfall wirft einen dunklen Schatten auf die Branche, die immer von sich behauptet, besonders gut hinzuschauen. Und: Es war ja nicht der erste Fall. Wie viele kommen noch?

Das Jahr 2021 war fast geschafft. Bei der mittlerweile konstant über 100.000 hl Bier großen Andechser Klosterbrauerei lief alles auf ein stilles Weihnachten hinaus – bis das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) den Frohsinn beendete. Von 264 Proben Bier, die das LGL 2021 im Handel erwarb und auf Nitrosamin-Spuren testete, war bei dreien der technische Richtwert von 0,5 Mikrogramm/Kilo für N-Nitrosodimethylamin (NDMA) überschritten. Unter Berücksichtigung der Messungenauigkeit war es noch eine. Und Andechs hatte ein Problem. 

Weil mit Nitrosaminen belastetes Bier zwar nicht als gesundheitsgefährdend gilt, anderserseits aber auch nicht mehr verkauft werden darf, gab Andechs in einem Schreiben an den Handel bekannt, dass „nicht nur bei unserem Doppelbock Dunkel, sondern auch bei unserem Export Dunkel Malzchargen verwendet wurden, deren technischer Richtwert so überschritten wurde, dass sie nicht mehr für den Verzehr geeignet sind“. Weil sich auf die Schnelle offenbar nicht mehr nachvollziehen ließ, welche Chargen den zulässigen Grenzwert überschritten und welche nicht, zogen unmittelbar vor Weihnachten Cellerar Frater Leonhard Winkle und Betriebsleiter Alexander Reiss per Schreiben an die Kundschaft die Reißleine und baten um eine stille Rückgabe der beiden Sorten mit allen verfügbaren MHD. Ein dunkler GAU, dessen Schockwellen über Weihnachten u.a den Bayerischen Brauerbund erreichten. Vor allem, weil über die Feiertage an zwei Bomben schon die Zündschnur fackelte: Nicht jedem war klar, welche Mälzerei Andechs das Malz verkauft und wer sonst noch damit Bier gebraut hatte.

Zumindest die erste Frage war nach wenigen INSIDE-Recherchen schnell geklärt. Die zweite lässt sich bis heute noch nicht vollständig beantworten. Sicher ist nur: Neben dunklen Andechser Bieren lagen auch rund 1.500 hl Paulaner Salvator aus einer der neuesten und modernsten Brauereien Deutschlands in München-Langwied, von Paulaner, über dem zulässigen NDMA-Grenzwert. Und auch bei der Homburger Karlsberg-Brauerei soll es in vereinzelten Chargen zu Belastungen gekommen sein; von der Brauerei gibt es hierfür keine Bestätigung. Paulaner und wohl auch Karlsberg hatten nach Bekanntwerden der Andechser Malaise (die laut Klosterbrauerei „auf einen gravierenden technischen Fehler bei der betroffenen Mälzerei“ hindeutet) Rückstellproben untersuchen lassen. Wie viele andere Brauereien haben noch von der Pfälzer Mälzerei Bindewald Malz bezogen? Schicken auch sie ihre Biere zu den einschlägigen Labors (u.a. WeihenstephanVLB)? Vor allem aber: Warum ist die ganze Geschichte so lange niemandem aufgefallen? Weil man nicht getestet hat? Oder weil man es nicht wissen wollte?  

Hotspot Kirchheimbolanden

Bischheim im Donnersbergkreis, Rheinland-Pfalz. In den vergangenen Jahren haben die Eigentümer mehrere Millionen Euro in die Erweiterung ihrer Kapazitäten im Werk Bischheim gesteckt. 200.000 Tonnen Weizen in der Mühle, 100.000 Tonnen Malz. Das Geschäft der Karl Bindewald GmbH blieb auch 2020 trotz der Pandemie stabil, unterm Strich stand ein im Vergleich zum Vorjahr nahezu unveränderter Umsatz von gut 104 Mio Euro und ein Jahresüberschuss von rund 450.000 Euro. Seit 2002 betreibt die Gesellschaft zudem die von der Parkbrauerei übernommene Mälzerei am Standort Kirchheimbolanden – explizit zur Herstellung von Spezialmalzen. 

Gegenüber INSIDE gibt der Anwalt der Bindewalds zur Auskunft, im Frühjahr 2021 habe es am Standort einen Defekt der Klappensteuerung der thermischen Einheit für die Lufterhitzung der Darre gegeben. Ein daraufhin ausgewechseltes Steuerelement sei dann offenbar nicht richtig eingestellt worden, was zu einer verstärkten Nitrosamin-Belastung des Malzes geführt habe. Im Umkehrschluss heißt das: Spätestens seit Mai 2021 gelangte Bindewald-Malz (insbesondere dunkles Münchner Malz) in den Markt, bei dem möglicherweise NDMA-Grenzwerte überschritten wurden. Getestet wurden diese Proben allem Anschein nach nicht. Von Seiten der Mälzerei heißt es dazu, es sei geplant gewesen, im Dezember Proben analysieren zu lassen. Mittlerweile wurden dort laut Mälzerei die Schäden behoben; außerdem will Bindewald laut Anwalt künftig auch engmaschigere Malz-Kontrollen durchführen.

Erstaunlich: Was bei der Herstellung speziell dunkler Malze alles passieren kann, wissen die Mälzer eigentlich selbst am besten. Eine vielbefahrene Straße in der Nähe des Betriebes, ein im Leerlauf röhrender Lkw im Hof, bei bestimmten Wetterlagen auch die Abluft der eigenen Gasverbrennung – die Darre saugt mit der vermeintlichen Frischluft auch die Stickoxide der Umgebung an. Diese können dann zur Bildung von Nitrosaminen führen. Zur Sicherung setzen viele Mälzer die vom Gesetzgeber tolerierte Schwefelung des Malzes ein, die die NDMA-Bildung reduziert und auch sonst noch einige im Brauprozess erwünschte Nebenwirkungen hat. Die durch Schwefelung erreichte hellere Bierfarbe ist aber bei dunklen Malzen eher kontraproduktiv. Zudem soll Bindewald die Schwefelung auch mit Blick auf die Interessen von Kunden wie Kellog´s oder Nestlé heruntergefahren haben, die beim Unternehmen Vorprodukte ihrer Cerealien beziehen. 

Die Furcht vor dem Flächenbrand

Der Fall Bindewald ist in der Braubranche kein Einzelfall. 2011 nahm die Klosterbrauerei Ettal die eher homöopathische Menge von 185 hl Ettaler Kloster Dunkel und Curator dunkler Doppelbock wegen hoher Nitrosaminwerte zurück; Malzlieferant war seinerzeit wohl Bilgram in Memmingen. 2014 erwischte es dann die Bamberger Spezial-Brauerei, 2016 den fränkischen Brauer Conny Krug (Breitenlesau), dessen Lieferant Klostermalz Wirth in Frauenaurach sich wiederum u.a. bei Naheland Malz bedient haben soll. Damals wie heute heißt es bei den Brauern mit Verweis auf Qualitätsgarantien seitens der Mälzer, es sei unmöglich, jede einzelne Lieferung vor der Verarbeitung ins Labor zu schicken. Damals arbeiteten sich die Privaten Brauer an der Horrorvorstellung eines Flächenbrandes ab, den ein solcher Vorfall hätte entzünden können (INSIDE 761). 

Nun ist es wieder mal so weit.      

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