Die Württemberger Genossenschaften, die seit Jahrzehnten flächendeckend mit 1 Liter-Mehrwegflaschen arbeiten, wollen das Konzept auf der ProWein 2023 vorstellen und weitere Mitstreiter gewinnen. Gelingt die „Zeitenwende“?
Wenn eine Weinbauregion weiß, wie Mehrweg geht, dann Württemberg: Seit rund 30 Jahren gibt es dort einen 1 Liter-Mehrwegpool, an dem sich alle Genossenschaften beteiligen. Die Zahlen: Etwa 40% des Weins der Genossenschaften (2021 wurden in Württemberg 86 Mio der deutschlandweit 845 Mio Liter erzeugt, davon über 60 Mio Liter von den Genossenschaften) werden in 1 Liter-Mehrwegflaschen abgefüllt, also bis zu 25 Mio Liter jährlich. Dazu kommen einige nicht genossenschaftlich organisierte Weingüter, die ebenfalls mitziehen. Eine zentrale Reinigungsanlage für alle gibt es seit den 90er Jahren in Möglingen. Zuständig ist die Weingärtner Servicegesellschaft (WSG), an der die Württembergische Weingärtner-Zentralgenossenschaft (WZG), in der fast alle Genossenschaften organisiert sind, die Mehrheit hält.
Diese bestehenden Strukturen hält Werner Bender von den Heuchelberg Weingärtnern, der das Projekt 0,75 Liter-Mehrwegpool seit Anfang 2020 vorantreibt, für einen entscheidenden Vorteil: „Jemand muss als Vorreiter zeigen, dass das geht. Und wir Genossenschaften mit der 1 Liter-Mehrwegflasche sind Experten dafür.“ Das Projekt ist bei der Werbegemeinschaft Württembergischer Weingärtnergenossenschaften, in der alle Genossenschaften Mitglied sind, angesiedelt und soll von ihr auch gegenüber potenziellen Partnern über Württemberg hinaus vermarktet werden. Das Konzept inklusive einer eigens konzipierten Flasche steht und wird (mit der Hoffnung auf flächendeckende Beteiligung) zeitnah abschließend in der Projektgruppe beraten und ratifiziert. Auf der ProWein 2023 (19. bis 21.3.) möchten die Württemberger mit ihrer Initiative dann den großen Aufschlag wagen und möglichst schon weitere Partner finden.
Der Pfandsatz dürfte über den historisch bedingten und mittlerweile nicht mehr zeitgemäßen fünf Cent bei der 1 Liter-Flasche liegen. Erstaunlich: Laut Bender ist die Rücklaufquote mit 85% trotz des geringen Betrages sehr ordentlich. Die Poolflaschen eignen sich ihm zufolge für bis zu 50 Abfüllungen, bevor sie entsorgt werden müssen. Die neue Flasche wird laut INSIDERN, anders als die derzeit gängigsten 0,75 Liter-Pullen im Handel, die einen BVS 30/60 Aluschrauber besitzen (der beim Spülen nicht abgeht und damit nicht mehrwegfähig ist), wohl ähnlich wie die 1 Liter-Mehrwegflasche in Württemberg eine MCA-Schraube mit abwaschbarem Überzug haben.
Benders Mitstreiter Marian Kopp von den Lauffener Weingärtnern schätzt die Vorzeichen für eine mögliche „Zeitenwende“ hin zu Mehrweg-Poolflaschen als günstig ein und verweist auf ähnliche Bestrebungen in der Bierbranche (GeMeMa/MPB). Nachhaltigkeit und Energieeffizienz (geschätzt 60% der Wein-Emissionen entstehen durch die Bewegung der Flaschen) stünden gerade jetzt in der Industrie und bei den Verbrauchern im Vordergrund. Noch dazu ist es für die Winzer eine Kosten- und Beschaffungsfrage: Laut INSIDERN liegen neue Standardflaschen zurzeit bei 30-35 Cent im Einkauf – zuzüglich Mehrwertsteuer. Wenn man sie überhaupt in ausreichender Menge bekommt. Ein ständiger Rücklauf der meisten Flaschen würde Druck rausnehmen. GFGH-INSIDER begrüßen den Mehrweg-Vorstoß ebenfalls: Wenn es ein Pool-Gebinde und eine Pool-Kiste gebe, sei das für den Fachgroßhandel interessant und praktikabel. Einzige GFGH-Sorge: Mehr Fremdflaschen in Weinkisten (wegen der Gewöhnung an Wein-Mehrweg) könnten zu einem erhöhten Aufwand durch das Sortieren führen.
Abzuwarten bleibt, wie viele Betriebe tatsächlich ernst machen – sich also mit der Einheitsflasche und einer Festlegung auf abspülbare Nassklebeetiketten anfreunden. Bei einem Weinmarkt mit rund 8.000 selbstvermarktenden Betrieben dürfte es ein langer Weg bis zu einem flächendeckenden, funktionierenden Pool sein.
Artikel aus INSIDE 917