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Welche Mehrweg-Maßnahme kommt? Branchen-Hearing des Umweltbundesamts

Was ist denn jetzt los? Unmittelbar vor der Bundestagswahl rangeln Einweglobby und Mehrwegverbände um die Pole Position bei künftigen politischen Verhandlungen. Ein Arbeitskreis, ein „Praxisdialog“ jagt den nächsten, seit dem Bundesumweltministerium aufgefallen ist, dass sein nächster Chef ein Grüner sein könnte. 400.000 Euro müssen irgendwie verbraten werden. Gerade deswegen wird es eine echte Ökobilanz nicht geben.

Die neue Regierung könnte schnell Maßnahmen zur Stützung der Mehrwegquote beschließen. Eigentlich scheint die traditionell u.a. vom Bundesverband GFGH getragene Mehrwegseite also am Ziel. Doch nicht alle möglichen Maßnahmen finden dort Gefallen. Insbesondere die dratischste nicht, nämlich, dass alle Händler verpflichtet werden könnten, Mehrweg zu listen. Auch der Discount. Das hübsche Mehrweg-Biotop für Vollsortiment und Fachhandel wäre gekillt. Der neue Gesetzgeber könnte es mit der Umsetzung seiner im Verpackungsgesetz definierten 70%igen Mehrwegquote ernster meinen als bisher. Schon die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD hatten 2017 gefordert, „Vorschläge für weitergehende rechtliche Maßnahmen zur Förderung von Mehrweggetränkeverpackungen (...) zu entwickeln, wenn drei Jahre nach Inkrafttreten des Verpackungsgesetzes der angestrebte Mehrweganteil von 70% noch nicht erreicht ist“.

Laut Zahlen, die das Umweltbundesamt (UBA) dieses Jahr für 2019 veröffentlichte, lag die Mehrwegquote seinerzeit bei 41,8%. Einweg-PET kam auf 50,7%, Getränkedosen auf 5,2%. Innerhalb der einzelnen Sparten der Getränkeindustrie varrierten die Anteile bisweilen extrem. Lag der Mehrweganteil bei Bier bei 78,7%, waren es bei alkoholhaltigen Mischgetränken nur 5,1%. Mittlerweile gab es zwar weiter Verschiebungen in Richtung Glas Mehrweg, von der Zielquote von 70% über alles ist Mehrweg aber noch weit entfernt. 

Auch nach 20 Jahren: Immer noch keine neue Ökobilanz 

Dass das UBA zusammen mit dem Institut für Ökologie und Politik GmbH (Ökopol) aber ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor der Wahl, noch Diskussionsrunden zusammenzimmert, die ihrem Namen „Praxisdialog“ alle Ehre machen, ist sicher kein Zufall. Am Ende fragt noch jemand, warum so lange nichts passiert ist.

Um einen Irrtum erst gar nicht aufkommen zu lassen: Der erstmals am 7. September (eine zweite Runde ist für kommenden Montag geplant) unter Federführung des UBA von Ökopol, der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM)Prof. Dr. Thomas Schomerus (Professur für Öffentliches Recht, insbes. Energie- und Umweltrecht an der Universität Lüneburg) und der Kanzlei Prof. Versteyl Rechtsanwälte (öffentliches Wirtschaftsrecht, Burgwedel) durchgeführte „Praxisdialog“ mit Vertretern aus Industrie und Handel hat mit einer von vielen ersehnten Ökobilanz rein gar nichts zu tun. 

Eine solche gab es zuletzt vor 20 Jahren. 1995 hatte das dem Umweltministerium unterstellte UBA eine Ökobilanz erstellen lassen; sie wurde im Jahr 2000 angepasst und 2002 (ergänzt um perspektivische Berechnungen) nochmal aufgelegt. Wohlgemerkt vor der Pflichtpfandeinführung, die den Getränke-Verpackungsmarkt völlig über den Haufen warf. seitdem geschah nix.

2010 bezahlten die Beverage Can Makers Europe (BCME) in ihrer Not eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU), die adhoc von der Mehrwegseite zerrissen wurde (woraufhin die IFEU-Wissenschaftler das zweifelhafte und falsche Etikett umgehängt bekamen, Sprachrohr der Einweglobby zu sein). Ebenso schoss sich die Mehrwegseite 2014 auf eine von der Deutschen Ernährungsindustrie und dem Handelsverband bezahlte Deloitte-Untersuchung ein, 2019 wurde IFEU dann nochmal abgewatscht – wegen eines Gutachtens zu Getränkekartons und Mehrwegflaschen, angeblich ein „Musterbeispiel für Greenwashing“.   

Interesse an einer neuen, echten Ökobilanz (mit einer detailierten Beschreibung ökologischer Vor- und Nachteile der bestehenden Verpackungsarten mit Blick auf Transportwege, Herstellungs- und Weiterverarbeitungsschritten) bekundeten in den vergangenen Jahren immer nur die Vertreter der Einwegseite. 2019 ließen Parlamentarier der CDU dafür 400.000 Euro in den Bundeshaushalt einstellen. 400.000 Euro? Viel zu wenig, finden viele. Sowas kostet Millionen. Und die sind leider nicht da. Immer noch nicht. Und wahrscheinlich: nie.

Abgaben? Steuern? Mehrwegquoten im Handel? 

Was INSIDER schon vor einem halben Jahr prophezeiten (INSIDE 875), bewahrheitet sich nun Hals über Kopf: Statt einer Ökobilanz bekommt die Branche vom UBA gleich zwei Projekte verpasst: eines zur „Stärkung und Verbreitung von Mehrwegverpackungssystemen“, das andere in eine „Ökobilanzielle Analyse von Optimierungspotenzialen bei Getränkeverpackungen“ verpackt (in diesem Fall, wieder unter Ökopol-Aufsicht, delikater Weise ua. erneut mit IFEU an Bord). 

Zum eher noch unstrukturierten Online-Meeting am 7. September betrug die offizielle Redezeit je drei Minuten - sportlich. Nicht überall konnten die Ökopol-Leute in der illustren Runde (u.a. Private BrauerCoca-ColaWafGFritz-KolaDUHRewe) das Feuer der Begeisterung entfachen. Als delikat empfanden manche Teilnehmer hingegen, dass TCB-Gesellschafter Karsten Uhlmann (u.a. Frankfurter Brauhaus) unmissverständlich die Trommel für Einweg rührte und dafür auch offiziell als Vertreter der Bundes Getränkeverpackungen der Zukunft (BGVZ) geführt wurde. Delikat deshalb, weil Uhlmann zufällig auch über den Brauerbund Mitte im Präsidium des Deutschen Brauer-Bundes sitzt. Dessen Gf Holger Eichele war nur telefonisch zugeschaltet, was prompt manche nicht mitbekamen. 

Recht schnell konzentrierte sich die Diskussion auf die rechtliche Bewertung von zwei Kernthemen: einerseits die längst u.a. von den Grünen und der Mehrweg-Allianz geforderte Abgabe auf Einweggetränkeverpackungen. Die Könnte künftig auch in Form einer Verpackungssteuer erhoben werden, dann aber womöglich auch auf Mehrwegflaschen – was künftige Finanzminister freut, die Hersteller eher weniger (auch wenn die Steuer nur einmal bei Inverkehrbringung fällig würde). Deutlich sensibler – man könnte auch sagen dünnhäutiger – diskutierten die Teilnehmer das Thema verpflichtende Mehrwegquote für den Handel. Darauf hat aus ökonomischer Sicht eigentlich niemand Lust – weder der Discount noch Vollsortiment und GFGH, deren hübsches Mehrweg-Biotop beendet wäre. Nicht zuletzt deshalb ventilierten Teilnehmer auch prompt die Befürchtung, das deutsche Mehrwegsystem würde in toto eine rapide Bewegung Richtung 70 % Marktanteil kapazitätstechnisch gar nicht verkraften.

Dass Ökopol von vornherein zu laut die Mehrweg-Trommel rühren würde, war allerdings nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Für Missstimmung auf der Mehrwegseite sorgte, dass Ökopol gleich zu Anfang Zahlen zum Indivualflaschenanteil (laut BGVZ mit Bezug auf GVM 2017 schon bei 43%, 2022 bei 47%), Kostenrechnungen Einweg-Mehrweg und Transportkostenanalysen vorlegte. Intern bestand danach der Wunsch, Ökopol bis nächsten Montag gepfeffert mitzuteilen, wohin der Hase wirklich läuft. Was offenbar auch geschah. Vor allem der noch immer sehr aktive Pro Mehrweg-Aktivist/-Vorstand Günther Guder dürfte eine entsprechende Steilvorlage der Mehrweg-Allianz (die einen Großteil der eingeladenen Hearing-Teilnehmer stellte) dankbar aufgegriffen haben. Nächste Woche geht‘s mit dem Thema Transportverpackungen weiter, für 20.10. ist ein Zwischenstand angekündigt. 

Wie lange es dauert, bis die „Ökobilanzielle Analyse von Optimierungspotenzialen bei Getränkeverpackungen“ (mit Perspektive auf die Jahre 2030 und 2050) in die Gänge kommt, ist noch nicht absehbar. Ökopol, IFEU und GVM brauchen hierfür – mangels eigener Mittel – erstmal Daten aus Handel und Industrie. Sozusagen: auf freiwilliger Basis. Nichts leichter als das.      

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