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Retro-Bier 2021: Boom mit Makel

Die festen Markenstrukturen im Biermarkt verflüssigen sich. Euroflaschen-Helles gewinnt Marktanteil um Marktanteil. Jetzt gelingt es auch Brauereien außerhalb Bayerns, sich an den Retrozug zu hängen. Bleibt das hübsche Hochpreis-Idyll erhalten?

Corona beschleunigt die Entwicklung: Sie alle wachsen im Handel ungebrochen. Für 2020 wies Nielsen für Hellbier ein Plus von 19,9% nach Absatz bzw. 22,4% Umsatz aus. Aus den aktuell 8% Marktanteil könnte mittelfristig das Doppelte werden. Einzige Begrenzung scheint die Braukapazität, die großen Hellbiermarken produzieren allesamt am Anschlag. Der von Marktführer Augustiner (2020: 1,7 Mio hl) und dem Herzoglichen Brauhaus Tegernsee (400.000 hl) vorgegebene Trend, sieht vier goldene Regeln vor: Helles Bier, Euroflaschen, blaue Kiste, hoher Preis. 

Sklavisch unterwarfen sich die Nachahmer. Mit Erfolg. Bayreuther (2020: 450.000 hl), Chiemseer (210.000 hl), Mooser Liesl (150.000 hl) und die vielen anderen von Maxlrainer, Weihenstephaner bis zur Radeberger Gruppe (Oberdorfer) halten sich brav an alle Regeln. Jede Abänderung wie eine rote Kiste (Erdingers Stiftung) oder ein niedriger Preis (Rewes Wirtsmadl) bestraft der Verbraucher mit Nichtachtung. 

Und doch bröckelt die Front. Zunächst in Bayern: AB Inbevs Vertriebsapparat erreichte (zumindest im Aufbaujahr) die hochgesteckten Ziele für das in Euroflaschen gesteckte Spaten Hell, das es auf rund 100.000 hl brachte, wohlgemerkt in grünen Kisten. Einen neuen Ansatz verfolgt die Weißbierbrauerei Schneider für ihre Expedition ins Untergärige. Schneiders Helles Landbier (gebraut bei der Halbtochter Karmeliten in Straubing) kommt natürlich hochpreisig in Euroflaschen, aber in edlen dunklgrauen Kisten und mit dem expliziten Absender Niederbayern. Schneider-Gf Robert Schraml strickt an kreativen nationalen Vertriebslösungen. 

Sogar mit Fernsehwerbung (bislang in der Hellbierwelt ein Sakrileg) rollt Paulaner sein neues Euroflaschenhelles aus. Allerdings rutschen da die Preise schon zu Beginn auf 12 Euro/Kiste. Etwas unterhalb des Niveaus von Mooser Liesl siedelt nun auch Arcobräu-Dampframme Holger Fichtel sein neues Baby Franz-Josef an. Das wird bei der ehedem auf Billigbier spezilialsierten Tochter Eschenbacher in Franken hergestellt: blaue Kiste, aber... NRW-Flasche.

Doch gibt es inzwischen immer mehr Anzeichen, dass die Verschiebungen im Biermarkt nicht nur den bayerischen Hellbier-Brauern zu Gute kommen. Schlaue Adaptionen des Retro-Trends gibt es in vielen Teilen der Republik. Vorreiter wie Stauders Bierchen (0,33-l Euro) finden überall Nachahmer. Der mit Abstand erfolgreichste: Veltins. Deren Helles Pülleken erobert derzeit die Regale in NRW und Norddeutschland und wird (unterstützt von einem genialen 8-sekündigen Fernsehspot) auch wieder rausverkauft. Wettbewerber trauen Pülleken in diesem Jahr eine Größenordnung von 200.000 hl zu. 

Die Konkurrenz reagiert unterschiedlich: Krombacher konzentriert sich auf den Roll-Out seiner streng nach den vier goldenen Regeln arbeitenden Neuerwerbung Starnberger Brauhaus (INSIDE 857). Bitburger, das mit Benediktiner die Bayern-Schiene fährt, geht demnächst mit einem Eifeler Landbier an den Start (INSIDE 862), abgefüllt in Stubbi-Flaschen. Und Warsteiner? Dort wird der Retro-Trend der Billig-Tochter Paderborner überlassen. Nachdem Warsteiner mit Paderborner Pilger bereits den Kellerbier-Trend aufgemischt hat, kommt jetzt ein „helles Lagerbier“ namens Geselle auf der Walz in den Handel. EVP: 9,49 Euro je 20x0,5-liter NRW-Flasche, also auf Pilger-Niveau oder fünf Euro unterhalb dem Normalpreis für Warsteiner

Andere Mittelpreismarken wie Nörten-Hardenberger wagen sich an die Euro-Flasche heran. Weniger aus Marketing- als aus logistischen Gründen: die hohen Einspeisraten und niedrigen Euro-Kisten (in die weniger Fremdflaschen gestellt werden können) versprechen besseres Leergut.

Als Aufbruch in neue Preisregionen, und damit als Impfstoff für den von Aktionitis gezeichneten Markt, wird der Retrotrend außerhalb Bayerns nicht verstanden.

Die Preispositionierung fällt im Vergleich zu den Ur-Vorbildern aus Bayern, die teilweise nahe an die 20 Euro/Kiste heranreichen, pragmatisch aus. Der Überflieger Pülleken wird auf dem selben Preisniveau wie Veltins verkauft. 

Gleiches Bild in Köln: Dort hat Früh Kölschs Marketing- und Vertriebschef Dirk Heisterkamp mit dem schon nach zwei Jahren deutlich über 20.000 hl großen Schreckenskammer Kölsch (0,5-Liter und 0,33-Liter Euro) einen Volltreffer gelandet. Und auch dem neuen Gaffel Wiess (0,33er Euro, hellblaue Kiste) wird von Handel und GFGH viel Potenzial eingeräumt. Anders als Schreckenskammer, das im Normalpreis drei Euro teurer als Früh im Regal steht, verzichten die Inovationskönige von Gaffel (u.a. Fassbrause) jedoch auf einen Uplift. Das Wiess (obergärig, mild, naturtrüb) kostet genau soviel wie Gaffel Kölsch.       

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